Partylaune obsiegt

Von Nairobi bis Berlin: Barack Obamas Amtsantritt als erster schwarzer US-Präsident ist rund um den Globus ausgelassen gefeiert worden. Besonders in Kenia, der Heimat von Obamas Vater, waren die Menschen in Partylaune: Dort strömten am Dienstag tausende Menschen vor allem in den großen Städten zusammen. In Berlin feierten Hunderte in Schöneberg bei einer von US-Demokraten und -Repubikanern gemeinsam veranstalteten Public-Viewing-Party. Insgesamt verfolgten rund elf Millionen Zuschauer in Deutschland den Amtsantritt des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten live im Fernsehen. In Großbritannien und auch in Brüssel verfolgten tausende Zuschauer auf Großleinwänden die Vereidigungszeremonie in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington. Das Londoner Museum Madame Tussaud’s gewährte US-Bürgern am Dienstag freien Eintritt, Massen drängelten sich um die Wachsfigur des schwarzen Präsidenten.

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Es hat sich gelohnt. Alles. Für Jean-Claude Desmilliers, einen Washingtoner haitianischer Abstammung, war es ein großer, wenn auch anstrengender Tag. Der 46-Jährige war am Dienstagmorgen um 2.30 Uhr zuerst mit dem Fahrrad, dann mit dem Bus und anschließend mit der U-Bahn in die Washingtoner Innenstadt gereist, um ganz vorne dabei zu sein, wenn Barack Obama seinen Amtseid ablegt. Stundenlang harrte er in der Eiseskälte aus und feierte mit anderen herbeiströmenden Frühaufstehern die neue Ära.

„Ich will meinen Kindern erzählen können, dass ich diesen historischen Tag erlebt habe“, sagt er etwas erschöpft. Desmilliers, der seit 13 Jahren US-Bürger ist, hat im vergangenen Jahr monatelang für Barack Obama Wahlkampf gemacht, ist in der haitianischen Community von Tür zu Tür gegangen, hat Prospekte verteilt und um Obama gezittert. Das Bibbern vor dem US-Kapitol war am Dienstag nur noch ein logischer Schlusspunkt für etwas, was sich Desmilliers noch vor einem Jahr in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können: dass er, als Migrant, Teil einer Bewegung sein würde, die die Vereinigten Staaten verändert hat. „Man muss einfach glauben, dass nun alles besser wird“, sagt der Taxifahrer. Dass das, was gerade oben auf den Stufen des Kapitols passiert, noch immer etwas so Unglaubliches ist, das kreischen sich auch Julia, Samantha, Bernice und Shajenne aus dem Leib. „Ich kann es nicht glauben, mein Gott, ist das wahr?“, jauchzen die vier High-School-Schülerinnen abwechselnd in die Menge. Die Mädchen sind aufgekratzt und fotografieren sich gegenseitig vor dem Kongress-Gebäude. Es stört sie nicht, dass die abziehenden Menschenmassen an ihnen vorbeidrängen. Sie schwenken ihre Mützen, auf denen mit Pailletten ein Obama-Konterfei aufgenäht ist. Nach dem Amtseid werden sie erst mal nach Hause fahren, sich aufwärmen, um heute Abend gemeinsam mit Klassenkameraden noch mal richtig einen draufzumachen. „Wir machen Party bis zum Umfallen“, rufen sie. Und immer wieder „Oba-ma, Oba-ma“. Nervtötend ist allerdings das Procedere, dass die nervösen Sicherheitskräfte Hunderttausenden auferlegt hatte. 40.000 Polizisten riegelten bereits in der Nacht zum Dienstag die Washingtoner Innenstadt um die Feiermeile „National Mall“ herum ab. Wer dabei sein wollte, wenn Barack Obama auf der Bibel, die einst Abraham Lincoln gehörte, seinen Amtseid schwor, der musste sich durch die wenigen Checkpoints hindurchdrängeln. Vor denen hatten am Morgen Tausende von Menschen stundenlang ängstlich gewartet. Immer wieder wurden die Metallgitter verriegelt, um den Zustrom der insgesamt zwei Millionen Besucher zu kanalisieren. Zwar gab es einzelne wütende Wortwechsel mit den bewaffneten Sicherheitskräften, aber immer wieder obsiegte die Partylaune. Kaum stimmte einer einen bekannten Song an, sangen andere mit. Nicht von ungefähr gibt es großen Jubel, als der neue Präsident in seiner Antrittsrede kurze Zeit später davon spricht, dass „wir nun die falsche Wahl zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen zurückweisen werden“. „Yeah“, ruft es aus allen Richtungen. Zuvor hat das Publikum geschwiegen, als sich Barack Obama bei seinem Amtsvorgänger George W. Bush für dessen Dienst an der Nation bedankte. Fernsehkommentatoren sprachen später vom Verschiedenartigsten, Gemischtesten, Buntesten und Afroamerikanischsten, das je bei einer Vereidigungsfeier zusammengekommen sei. Dank der „Jumbothrone“, den überall aufgestellten Riesen-Videoleinwänden, entgeht niemandem, dass George W. Bush auf der Kapitoltribüne seinem Nachfolger mit versteinerter Miene zuhört. Kaum eine Regung huscht über Bushs Gesicht, als Obama in seiner 17-minütigen Rede eine kraftvolle Zurückweisung nahezu aller Maximen der Bush-Administration ankündigt.

Als schließlich George und Laura Bush vor dem Kapitol mit einem Militärhubschrauber ihre Heimkehr nach Texas antreten, ruft eine ältere schwarze Dame ihnen nach: „Viel Spaß auf deiner Ranch!“ „Ja, und komm bloß nicht wieder“, ertönt es spontan aus der lachenden Menge. Und immer wieder „Oba-ma, Oba-ma“. Lediglich die Hartgesottenen halten es bei dem eiskalten Nordwind bis zum Nachmittag aus. Doch als das Präsidentenpaar, vom Ehrenempfang im Kongress kommend, in seiner gepanzerten Limousine langsam vom Kapitol zum Weißen Haus rollt, hinter ihnen die Militärmusikkapellen und die Präsidentenparade, stehen noch immer Hunderttausende jubelnd, winkend, singend hinter der Absperrungsreihe am Straßenrand. Washington, das ist nicht zu übersehen, ist verknallt in sein neues, schönes Präsidentenpaar. Doch Michelle Obama, die ein sandgelbes, von einer kubanisch-amerikanischen Modedesignerin entworfenes Mantelkleid trägt, lächelt etwas angespannt, als das Weiße Haus in Sichtweite ist. Schließlich steigt das Paar winkend aus, um die letzten Meter zu seiner neuen Adresse zu laufen, und einer der Jubilanten ruft: „Barack, genieß es! Es sind die letzten Meter, die du in den nächsten Jahren hier frei herumlaufen wirst.“