Krabbelinvasion aus Fernost

Nach der Kastanienminiermotte fühlen sich nun auch Napfschildlaus, Lindenmotte und asiatischer Holzbockkäfer in Berlin wohl. 75 Prozent aller Stadtbäume sind durch asiatische Parasiten bedroht

von HANNES HEINE

Ein neuer Trend zum gesunden Wald? Die Bäume in den Wäldern „sind schöner geworden“? Renate Künast, grüne Bundesumweltministerin, kann damit tatsächlich nur die Wälder gemeint haben, denn für die Artgenossen in den Städten gilt das nicht.

Die Hälfte aller Berliner Straßenbäume ist krank. Mehr als 75 Prozent sind von tierischen Schädlingen bedroht. Vor allem Linden, Kastanien und Eichen sind bei Parasiten beliebt. Schwache Zweige, frühzeitiger Blattwurf und verklebte Sprossen sind vielerorts sichtbar. Abgase, Hunde und Streusalz schwächen die 412.500 Pflanzen an den Berliner Straßen. Dazu kommen heiße und regenarme Sommer. Die gestressten Bäume werden so zur leichten Beute für Schädlinge. Noch erinnern sich die Berliner an den Einsatz hunderter Helfer im Kampf gegen die Kastanienminiermotte letzten Herbst. Schon suchen neue Schädlinge den Weg in die Stadt. Aktuelle Bedrohung: die Wollige Napfschildlaus.

Die aus Asien eingewanderte Laus bervorzugt Linden und Rosskastanien. Das nur fünf Millimeter große Tier saugt sich an der Rinde fest. Die angezapften Pflanzen verlieren an Kraft. Ihre Zweige werden dürr, das Blattwerk weißlich. Klebrige Ausscheidungen – mit der harmlosen Bezeichnung Honigtau – sind die Folge. Befallene Bäume werden außerdem von einer Art Watte überzogen. Im April legt das Weibchen bis zu 3.000 Eier in die Rindenspalten. Die immer wärmeren Sommer bieten beste Bedingungen für die Vermehrung. Die Larven schlüpfen schon nach wenigen Wochen. Bis zum Winter können so mehrere Generationen heranwachsen. Nicht dass das Ungeziefer dann sterben würde. Berlin ist einfach zu warm. „Wir haben letzten Winter bei minus 20 Grad umsonst gehofft“, räumt Hartmut Balder vom Pflanzenschutzamt ein. Selbst im Larvenstadium ist ihnen das Überwintern möglich. Die erlaubten chemischen Mittel sind wirkungslos, natürliche Feinde nicht ausreichend erforscht. Parks in Bonn und Hamburg hat die Laus schon ruiniert. Dort sind ganze Baumgruppen weiß. Wann sie mit Berlin fertig ist steht noch nicht fest.

Doch damit nicht genug. Ein naher Verwandter der Kastanienminiermotte – die Lindenminiermotte – erreicht nach langem Marsch gerade Berlin. Auffällig ist wieder die asiatische Herkunft – Japan. Der weite Weg durch ganz Russland und Polen hat sie hungrig gemacht. Schwacher Trost: Mit einer Generation pro Saison vermehrt sich diese Motte eher zurückhaltend. „Bei ihrer Schwester auf den Kastanien sind bis zu vier Generationen möglich“, so Balder. Als Herkunftsland vermuten Experten auch bei ihr neuerdings asiatische Wurzeln – diesmal Nepal.

Beginnt eine Invasion aus dem fernen Osten? „Eine Faunenverfälschung findet statt“, stellt Pflanzenschützer Balder nüchtern fest. Ursache sei zunehmender Warenverkehr zwischen Ostasien und der EU. „Die Karten werden neu gemischt.“

Inzwischen wurde auch der Asiatische Holzbockkäfer am Stadtrand gesichtet. Heimische Bockkäfer befallen schwache und kranke Bäume. „Aber der geht auch auf gesunde“, so Balder. Durch Holztransporte ist er nach Europa gekommen. Bisherige Zentren waren Österreich und Tschechien, jetzt wandert er weiter. Insofern kann man Frau Künast nur zustimmen, wenn sie „dringend einen Waldspaziergang“ empfiehlt. Bevor auch der kaputt ist.