Ihr Laufsteg führt nach Brüssel

Die Karriere begann mit einer Unterschriftenfälschung. So will es die Legende. Hätte die vierzehnjährige Carmen auf Mutter gehört, wäre sie noch Verkäuferin in Paide, statt für Prada über den Catwalk zu stöckeln. Als Miss Järvamaa fälschte Carmen Kass das mütterliche Einverständnis und verschwand mit einem italienischen Agenten nach Mailand. Blauäugig? Was sonst? Schließlich ist dies das Markenzeichen der unnahbaren Nixe vom Finnischen Meerbusen. Was folgte, übertraf kühnste Träume. Paris, Los Angeles, New York, Chanel, Dolce und Gabbana, Valentino …Zehn Jahre später sei es Zeit, sich für das Glück zu bedanken, meint die reichste Frau Estlands, die für die rechtszentristische Regierungspartei Res publica bei der EP-Wahl antritt. Sie ist mit 25 Jahren noch jung, für eine Karriere als Politikerin in Estland, wo man mit 35 Minister wird, ist es aber fast schon zu spät. Solche Späteinsteiger sind im ultraliberalen Tallinn eher Loser. Kass hofft, die Esten zum Wählen animieren und ihnen die Angst vor Europa nehmen zu können. Außerdem meint sie, ihren Landsleuten glaubhaft vor Augen führen zu können, welche Möglichkeiten die westliche Welt auch ihnen biete. Dennoch begegnen die Nordosteuropäerinnen weiblichem Politengagement eher skeptisch. Kass beeindruckt das wenig: „Man braucht doch keine Qualifikationen, um Politiker zu sein, oder …?“, fragt das Chanel-Gesicht. „Und was ist mit Schwarzenegger?“, fügt Europas erste Modelpolitikerin und leidenschaftliche Schachspielerin hinzu. KLAUS-HELGE DONATH