Klamauk im Sicherheitsrat der UNO

Im Bonner Exbundestag versuchen sich Schüler darin, die hohe Schule der Diplomatie bei den Vereinten Nationen nachzuahmen. Das nehmen die Kids mächtig wichtig. Sie halten Reden, verabschieden Resolutionen – und machen auch sonst so viel Unsinn wie die hohen Herren in Genf und New York

„Ich habe meinen Text eben erst zu Ende geschrieben“, gibt der Generalsekretär zu

aus Bonn NICOLE MASCHLER

Der Vertreter Chinas ist empört. „Ich möchte den werten Delegierten aus Spanien bitten, das Monument des Kapitalismus zu entfernen!“ Achselzuckend reagiert der spanische UN-Delegierte – und baut eine der Pyramiden aus Coca-Cola-Bechern wieder ab, die er zuvor errichtet hatte. „Mit Rücksicht auf Sie hatte ich extra die Farbe Rot gewählt“, hört er nicht auf zu provozieren.

Fünf Tage im Jahr liegt New York am Rhein. Im Wasserwerk, dem ehemaligen Bundestagsgebäude in Bonn, debattierten vergangenes Wochenende wieder rund 180 Gymnasiasten über die Waffeninspektionen im Irak, den Internationalen Strafgerichtshof und die Rechte der Frau. Das „Schüler-Planspiel United Nations“, kurz Spun, ist die erste deutschsprachige Simulation der Vereinten Nationen und von den Jugendlichen selbst organisiert. Kein Lehrer, keine Noten, kein Zwang.

Doch auch bei Spun gibt es Regeln. Ob Resolution, Änderungsantrag oder Lobbyingpause, es gilt die Geschäftsordnung der UNO. „Ich hatte lediglich eine Denkpause für den Vorstand angekündigt“, ermahnt die Vorsitzende den Sicherheitsrat zur Ruhe. „Guinea, setzen Sie sich!“ Wie es sich für das Hauptorgan der UNO gehört, tagen die 15 Mitglieder in den verlassenen Räumlichkeiten des Bundessicherheitsrates – dort, wo das geheim tagende Gremium unter Helmut Kohl Waffenlieferungen beschloss oder sich über Sicherheitsfragen den Kopf zerbrach. Der Betonbau liegt im Untergeschoss, verborgen hinter einer Panzertür, mit einer abhörsicheren Holzvertäfelung und einem Konferenztisch in der Mitte. Die Fronten sind verhärtet. Frankreich, Deutschland und Pakistan fordern eine internationale Eingreiftruppe für Liberia. Doch über den Auftrag der Soldaten kommt es zum Streit. China will die Formulierung „zur Förderung des Demokratisierungsprozesses“ aus der Resolution streichen. Das erinnere doch sehr an die Argumentation der USA vor dem Irakkrieg. Überhaupt, Liberia sei eine Republik und damit demokratisch. „Eine Republik ist nicht automatisch demokratisch“, erwidert Spanien scharf. „Denken Sie nur an den Begriff Volksrepublik.“

Felix Kahlhöfer, mit dunklen Locken und im blauen Kimono, verzieht das Gesicht. Er hat Erfahrung mit schwierigen Missionen. Im vergangenen Jahr gehörte er der US-Delegation an, die sich mit ihrem Kampf gegen die „Schurkenstaaten“ eine Menge Feinde gemacht hatte. Nun also China, „das extreme Gegenteil, quasi der Gegenpol zum Kapitalismus“, wie er sagt.

Gute Argumente, eine feste Stimme und rhetorische Finesse sind nötig, um sich in der Runde zu behaupten. Nicht alle Schüler sind so wortgewandt wie Felix. Beinahe die Hälfte der Teilnehmer ist zum ersten Mal dabei. Die Jugendlichen kommen aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus Chile, Equador oder Ungarn, denn die deutschen Schulen im Ausland beteiligen sich an dem Projekt. Für die Neulinge waren eigens Vorbereitungsseminare angesetzt.

Mitte Juni im Theodor-Fliedner-Gymnasium in Düsseldorf. Es ist Freitagnachmittag, der düstere Bau aus den Siebzigern wirkt wie ausgestorben. In einem Klassenzimmer im ersten Stock haben es sich die 14 Ländervertreter bequem gemacht. Djamal Adib erklärt das Regelwerk der UNO. „Stimmt bei einer namentlichen Abstimmung nicht plötzlich mit Ja, wenn ihr eben für Nein wart“, schärft er der Gruppe ein. „Dafür müsst ihr euch spätestens beim Abendessen rechtfertigen.“ Djamal ist in diesem Jahr Generalsekretär von Spun. Mit Führungsaufgaben kennt er sich aus, der Schülersprecher des Fliedner-Gymnasiums. „Ich hatte schon länger nach einem Projekt gesucht, bei dem Jugendliche die Politik der Großen erleben“, erklärt er sein Engagement.

„Wenn ihr auf der Weltkarte guckt, solltet ihr euer Land finden“, gibt er den jungschen UN-Delegierten mit auf den Weg. Via Internet sollen sich die Jugendlichen über „ihr“ Land informieren. Die meisten hier sind politisch unerfahren. „Die Mutter meiner Freundin ist Studienrätin für Politik. Sie hat uns von dem Projekt erzählt“, sagt Shadia Nasralla aus Köln. Schon im vergangenen Jahr wollte die zierliche Dunkelhaarige mit der Nickelbrille unbedingt nach Bonn fahren, doch mit 15 war sie zu jung für Spun. Das Vorbereitungsseminar verlässt Shadia mit gemischten Gefühlen. „Ich bin beeindruckt, wie gut einige sich ausdrücken können.“

Sechs Wochen später, im Bonner Wasserwerk, ist es auch bei Djamal mit der Ruhe vorbei. Gleich soll er seine Abschlussrede vor der Generalversammlung halten, dem einzigen UN-Hauptorgan, in dem alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt vertreten sind. Hinter dem Pult hängt der Bundesadler, statt des UN-Emblems steht die Deutschlandflagge auf dem Podest. In den blauen Sitzen warten gespannt die Delegierten, im eleganten schwarzen Anzug oder Kostüm, Länderschilder und -fähnchen vor sich. Doch Generalsekretär Djamal bittet um Geduld. „Ich habe meinen Text eben erst zu Ende geschrieben, er wird gerade ausgedruckt.“ Ob Kofi Annan so cool gewesen wäre?

Er liefert eine solide Rede, mit dem obligatorischen Hinweis auf den Weltfrieden und einem Lob für die Delegierten. Höflicher Applaus. Es folgen die Länderstatements. Kuba kritisiert die Sanktionen der „kapitalistischen Verbrecherbande“. Lautes Klatschen bei den „kommunistischen Genossen“, Buhrufe der Briten. Die Vertreter der USA kehren der Versammlung demonstrativ den Rücken – und blättern in Comics.

Bei den Vereinten Nationen für Schüler gilt das Prinzip Innovation statt Imitation: Die Kids sollen nicht einfach die UNO nachspielen, sondern eigene Lösungsvorschläge für Krisen und Kriege entwickeln. Doch der Grat zwischen Rollenspiel und Show ist schmal. Als Saudi-Arabien einen Wecker hervorholt, der auf Knopfdruck den Ruf des Muezzin im Saal erschallen lässt, ist es mit der Ernsthaftigkeit vorbei. „Das ist hier weniger seriös, als ich dachte“, fasst Shadia ihren Eindruck zusammen.

Die verabschiedeten Resolutionen werden an die UNO in New York weitergeleitet. Doch anders als etwa beim deutsch-französischen Jugendparlament, das im Januar Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac mit Forderungen wie der nach einem gemeinsamen Schulbuch konfrontierte, bleiben die Spun-Dokumente blutleer. Die Jugendlichen vertreten eben nicht eigene Interessen, sondern tun nur so, als ob es so wäre.

„Ich musste mich schon verbiegen, weil ich nicht so US-kritisch sein konnte, wie ich es eigentlich bin“, findet Shadia, die Thailand vertritt. „Dafür konnte ich für die Todesstrafe eintreten“, sagt sie und zieht eine ironische Grimasse. Im Sicherheitsrat ist das für sie: Realität.