Fußball verbindet – auch in der taz

Sachverstand oder Trikotgeschmack: Hauptsache gewinnen beim EM-Tippspiel in der taz

Alle zwei Jahre passiert es. Da diskutiert die zurückhaltende Aushilfe aus der Aboabteilung heftigst mit dem taz-Justiziar über Advokaats Taktik, während der Kollege aus der Buchhaltung mit der Redakteurin der Wahrheit über die Vorzüge des griechischen Spielsystems philosophiert. Ein großes Miteinander und Durcheinander hält Einzug. Jede(r) weiß es besser, nur eine(r) kann gewinnen – und alle haben Recht. Bis es dann so weit ist und, wie in diesem Jahr, der Fußball-Europameister gekürt wird.

Ab Montag geht es richtig los. Eigentlich ab Samstag, aber da ist die taz verwaist. Am Sonntag beginnt bereits das Rumoren in der Redaktion, die – ähnlich wie die Kicker – am Tag der Besinnung arbeitet und über die ersten Ergebnisse debattiert. Gerade wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen jedes Spiel zur Feierabendzeit überträgt, landen die Fußballbegeisterten oft erschöpft alleine vor dem Fernseher. Da ist sozialer Kontakt wichtig. Der vielseitig genutzte Versammlungsraum in der taz wird dann zum sozialen Brennpunkt. Hier trifft man sich vor den Auswertungsbögen, die von der Werbeabteilung an die Wand gepinnt werden. Hier finden bei einem Kaffee die hitzigsten Gespräche statt, Freundschaften werden geknüpft und mehr oder weniger diskret alte Feindschaften gepflegt. Auch wenn nur ein Teil der Belegschaft sich nicht vor dem großen Outing während des EM-Tippspiels scheut. Die Zaungäste sind zahlreich, nicht ohne Häme, allerdings bar jeder Gewinnchance. Und trotzdem: Fußball verbindet – auch in der taz.

Wer nun aber meint, das müsste auch ohne den Einsatz schwer verdienter Euros funktionieren, der irrt. Es benötigt eben besonderen psychischen Druck, um ein Turnier dieser Größenordnung in seiner ganzen Spannung zu genießen. Wie eine Kollegin anmerkte: „15 Euro, da muss ich mir ja richtig Gedanken machen.“ Exakt darum geht’s. Dass sich allerdings im Vorfeld über den „zu hohen“ Wetteinsatz von 15 Euro für den Turniertipp beklagt wurde und den SpielemacherInnen zu Unrecht postkapitalistische Tendenzen unterstellt wurden, ist schade. Denn der Gewinn kann eventuell in der eigenen Tasche landen. Was von den BoykotteurInnen, die nur für 10 Euro einsteigen wollten, wohl kaum bedacht wurde.

Über allen Spannungsaufbau hinaus ist Fußball ein wunderbarer Indikator dafür, wie es um das Bild der Frau steht. Der Altachtundsechziger etwa zeigt sich freudig verwirrt: „Bei der EM-vorbereitenden Lesung von Klaus Theweleit waren ja richtig viele Frauen in der Berliner Volksbühne. Und später in der Kneipe bei der Nachbesprechung zückten einige auch noch den EM-Kicker. Das ist ja großartig!“

Die Jüngeren, also die Herren unter 45, sind da weniger euphorisch. Da muss frau mit Fachwissen glänzen. Anderseits hocken Männlein und Weiblein auch gerne zusammen über den Mannschaftsfotos, um den am besten balancierenden Spieler rauszupicken. Den „Bestaussehenden aussuchen“ nennt man das kurz und bringt ein wenig Entspannung in die feingliedrigen Diskussionen um Tore und Taktik. Eine kleine Umfrage ergab, dass die Russen dieses Jahr relativ weit hinten liegen, die Franzosen, wie auch im Spielerischen, ganz vorn mit dabei sind. Auch die Trikots können als richtungsweisend empfunden werden. In dieser Disziplin liegt England an vorderster Stelle. Wohingegen die beißenden Karos der Kroaten die Augen schmerzen. Es gibt also viele Wege, das Turnier zu tippen. Und selbst durch Studieren einschlägiger Fachliteratur wird man nicht viel schlauer. Zum Schluss jagt ein Geheimtipp den nächsten. Und am Ende gewinnt wer? In der taz ist Doris Benjack aus der EDV-Abteilung für ihre gefährlich guten Tipps bekannt. Die Sportredakteure hingegen gelten als vermeintliche Verlierer. Wen wundert es, wenn dort Außenseitertipps wie Russland hoch im Kurs stehen. Aber wer weiß? MEIKE JANSEN