Im Land zwischen den Flüssen

Ein Tagesausflug in das grüne Hinterland von Porto: Erst mit dem Zug entlang dem träge dahinfließenden Douro, dann mit der Bummelbahn durch das schmale Tua-Tal. Ziel ist das Städtchen Mirandela. Wer hier die Spezialitäten der Region genießen möchte, sollte wissen, wie man sie richtig zubereitet

VON OLE SCHULZ

Es ist früh morgens, und die Stadt wacht allmählich auf. Weil wir nicht viel Zeit haben, machen wir es wie die Portuenser: Am Tresen stehend schnell eine süße Teigtasche verspeisen und dazu einen kurzen Kaffee. Beim Bestellen sollte man aber bloß nicht „Bica“ sagen, wie wir es in Lissabon gelernt haben. In Porto hört man diesen Begriff aus der Hauptstadt nicht gern. Hier sagt man kurz und knapp: „Um café, por favor.“ Dann müssen wir schon weiter, und im Bahnhof São Bento bleibt uns nur ein Augenblick, um die berühmten „Azulejos“, die Kachelreliefs an der Decke der Vorhalle, zu betrachten. Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig, in den Zug einzusteigen. Los geht’s, der aufgehenden Sonne entgegen, die sich am Horizont langsam über die Berge schiebt.

Wir machen einen Tagesausflug ins Hinterland von Porto, in Gebiete, deren Namen allein schon verheißungsvoll klingen – von „Entre-os-Rios“ (zwischen den Flüssen) bis nach „Trás-os-Montes“ (hinter den Bergen). Binnen Minuten hat der Zug die Stadtgrenze erreicht; Porto ist zwar die zweitgrößte Stadt Portugals, doch im Vergleich zu Lissabon erheblich beschaulicher. Kurz darauf stoßen wir auf die ersten Hügelketten und überqueren einige reißende Bäche. Links und rechts von der Bahnlinie sind an den Hängen die großflächigen Anbaugebiete zu sehen, die Porto berühmt gemacht haben: die Reben, aus denen der Portwein gewonnen wird.

Im Zug sitzen vor allem ältere Menschen, einige haben geschnürte Pakete neben sich stehen, Geschenke für den Besuch bei der Verwandtschaft auf dem Lande, sagt man uns. Und der ältere Herr gegenüber scheint sich schon auf die Zeit nach seinem Ableben vorzubereiten: „Das Leben nach dem Tode“ lautet jedenfalls der Titel des vergilbten Büchleins, das er liest. Unsere Nachbarn unterhalten sich pausenlos, und ihre Unterhaltung vermischt sich mit dem Rattern des Zugs, bis mich das Gemurmel in den Schlaf wiegt.

Nach einem kurzen Nickerchen wache ich genau in dem Moment auf, als wir auf den Douro treffen, einen mächtigen, träge dahinfließenden Strom. Der „Goldfluss“ ist die Lebensader der ganzen Region; für die nächsten zwei Stunden wird er unser ständiger Begleiter sein, an dessen nördlicher Seite sich der Zug entlangschlängelt. Bei einem Zwischenstopp in Pinhão werben Schilder auf den „Quintas“ für die großen Portweinproduzenten wie Sandeman. Früher wurde die Ernte auf „Rabelos“, Lastkähnen, nach Porto gebracht. Inzwischen ist man beim Transport auf Bahn und Straße umgestiegen. Geblieben ist die Tradition, dass die Portweine am jenseitigen Ufer Portos, in Vila Nova de Gaia, gelagert und zur Probe angeboten werden.

Einige Stationen nach Pinhão erreichen wir das Dorf Tua. Dort müssen wir umsteigen, weil wir die schmale Schlucht entlang dem Tua-Fluss fahren wollen. Wieder bleiben nur wenige Minuten, um sich ein wenig umzugucken, bevor die Bummelbahn Richtung Norden startet. Auch die in der Bahnhofshalle ausgestellten Zeugnisse aus der Zeit, als auf der Strecke noch eine Dampflok fuhr, können wir nur eines kurzen Blickes würdigen. Denn den Portugiesen mag zwar nachgesagt werden, sie würden es mit Terminen nicht allzu genau nehmen, woraus die Uefa gleich einen markigen Slogan für die Euro 2004 gemacht hat („In Portugal extra-time is the best part of the game“); doch zumindest die Tuckerbahn in Tua fährt pünktlich auf die Minute ab.

Dabei besteht der Zug lediglich aus einem einzigen giftgrünen Waggon, der durch das Tua-Tal ruckelt. Es ist das letzte erhaltene Stück der ersten Bahnlinie in der Region; seit 1887 ist sie schon in Betrieb. Oberhalb des Tua fahren wir gemeinsam mit acht weiteren Fahrgästen durch eine schmale Schlucht. Zunächst macht es den Eindruck, als sei die karstige Berglandschaft menschenleer. Doch wie aus dem Nichts taucht nach einigen Kilometern ein Dorf auf. Allerdings stoppt der Zug nicht. Angehalten wird nur, wenn jemand ein- oder aussteigen möchte. Und an der dritten Station, in Santa Luzia, steht tatsächlich eine Bauersfrau am Bahngleis, die mitgenommen werden möchte.

Einige Stationen weiter, in Vilarinho, gibt es schließlich einen längeren Aufenthalt. Eine Oma wartet auf ihre Enkelin. Endlich kommt sie den Berg hinuntergerannt, und die Fahrt kann weitergehen. Auf 14 Stationen hält der Zug insgesamt viermal; jeden Stopp nutzt der Schaffner für ein kurzes Schwätzchen. Und weil die Portugiesen Genussmenschen sind, dauern die Pausen in der Regel mindestens eine Zigarettenlänge lang.

Je weiter wir kommen, um so besiedelter wird die Umgebung, und das Tua-Tal weitet sich. Gesäumt wird der Fluss von purpurnen Ginsterbüschen, weißem und gelbem Heidekraut. Dazu gesellen sich neben Pappeln auch Mandelbäume. Sie müssten jetzt im Frühling eigentlich blühen, aber weil es im Februar schon so warm war, ist die Zeit der Mandelbaumblüte leider vorbei.

In Mirandela angekommen, gehen wir direkt in eins der Spezialitätengeschäfte in der Innenstadt. Mirandela ist außer für Käsesorten vor allem für die „Alheira“ bekannt, eine hausgemachte Knoblauchwurst. Wir setzen uns in die Sonne ans Flussufer und schneiden die Wurst auf. Ein bisschen zu deftig ist sie für unseren Geschmack, aber bei dem großen Hunger nach der fünfstündigen Bahnfahrt macht uns das nichts aus. Nicht viel später spüre ich allerdings, dass die Wurst mir irgendwie schwer im Magen liegt.

Von Mirandela aus kann man entweder weiter in den noch unentdeckten Montezinho-Nationalpark oder mit dem Bus zurück nach Porto. Wir entscheiden uns für die zweite Variante und werden in Porto am Abend von unser Gastmutter Carolina begrüßt. Als wir ihr unser eher zwiespältiges Urteil über die Alheira mitteilen, bricht sie in schallendes Gelächter aus; man müsse die Wurst erst kochen, bevor man sie isst, werden wir belehrt. Dann greift sie zum Telefonhörer, um ihrer Tochter von unserer kulinarischen Expedition zu berichten: Sie hat ja schon viel erlebt, sagt Carolina, inzwischen Tränen lachend, zum Beispiel dass Touristen den Portwein wie einen Tafelwein in großen Schlucken getrunken hätten. Aber dass jemand die Alheira roh verspeisen würde, davon habe sie noch nie gehört.