Es witzelt der Womanizer

Und Kati Witt war auch da: Chris de Burgh ließ am Gendarmenmarkt die Generation Opel wie beim Kirchentag mitsingen, widmete den Abend den schönen Frauen Berlins, und am Ende trug er den Song vor, der das ganze Konzert lang wie eine Drohung über dem Abend gelegen hatte: „Lady in Red“

von ANDREAS MERKEL

Das Problem war: Wer kommt mit? Zwei Karten für Chris de Burgh, und mein Bekanntenkreis hat mich schon zu weitaus attraktiveren Anlässen (Simply Red, 1. FC Köln bei TeBe) allein gehen lassen. Selbst die eigene Freundin winkt sofort ab, unter Verweis auf ihre Oma, die wäre bestimmt gerne mitgekommen, lebt aber leider am Bodensee.

Doch die Lösung wohnt wie immer gleich nebenan: Katja, meine Nachbarin, die Freundin eines Freundes, entpuppt sich als Chris-de-Burgh-Fan der ersten Stunde. Sie hat „CdeB“, wie der Insider sagt, schon auf seiner „Getaway“-Tour 82 in der Deutschlandhalle gesehen und bringt mir „zum Reinhören“ vorher sogar noch ein paar alte Platten vorbei (keine Angst, Katja war damals zwölf, heute hört sie Radiohead und so).

Am Dienstagabend treffen wir uns also vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt, wo es im Pressebüro kurz zuvor noch Gerangel um die letzten VIP-Akkreditierungen gab („Denen ist doch scheißegal, wer hier spielt, Hauptsache, sie können umsonst saufen!“); es ist der letzte Abend der „Classic Open Air“-Festivals. Auf dem eng bestuhlten, erstaunlich gut besuchten Gendarmenmarkt geht die Sonne malerisch langsam hinter dem Französischen Dom unter, und das Berlin der schultheissen Nächte hat sich bei Ticketpreisen von durchschnittlich 50 Euro mächtig in Schale geworfen. Junge und Junggebliebene aus der Generation Opel (Kati Witt ist auch da) erwarten „den kleinen Iren mit der großen Stimme“ (Berliner Morgenpost), vom Veranstalter Gerhard Kämpfe als einer der „bescheidensten Superstars, die ich überhaupt je erlebt habe“, angekündigt.

Dann endlich Auftritt CdeB: Gut drauf, schwarze Jeans, weißes Hemd, allein hinterm Klavier (seine Band und die Frankfurter Philharmoniker stoßen erst in der zweiten Konzerthälfte dazu). – „We are going to have eine sehr romantische Abend, a big party tonight!“ Katja freut sich richtig, aber eher innerlich. Die laue Abendstimmung lässt noch ein bisschen zu wünschen übrig, findet auch Chris de Burgh, der erst nach dem zweiten „Wie gääits?!?“ die gewünschte Publikumsreaktion erhält. Tatsächlich entpuppt sich der notorische Mittelscheitelträger mit den buschigen Augenbrauen, dessen leicht debil-diabolisches Grinsen (don’t pay the ferryman!) sonst wie eingemeißelt wirkt, bald als lockerer Entertainer: Ein Fernsehgarten-Robbie Williams, der die Menge zur akustischen Gitarre wie beim Kirchentag die Refrains mitsingen lässt.

Zwischen den Balladen, die in der Regel von Frauenrumkriegen und vom Segeln handeln, gibt es wie zu besten „Hitparade“-Zeiten („Mit der Startnummer sieben, bitte nicht wiederwählen!!“) Rosen aus dem Publikum, mit kleinen Briefen dran, die Chris persönlich am Bühnenrand in Empfang nimmt. Da stehe „For the most beautiful, sexiest man in the world“ drauf, witzelt der Womanizer, bevor er einen weiteren Schmachtfetzen zum Besten gibt. Schmierglatter Eheanbahnungspop, den „vielen schönen Frauen in Berlin“ gewidmet. Allmählich verstehe ich, warum Katjas Freund sie kurz vor Konzertbeginn noch nervös auf dem Handy anrief, ob „alles in Ordnung“ sei. Aber Katja achtet nicht so auf den Text, genießt eher die Stimmung und wippt mit dem Fuß zur Musik.

Zwischendurch dann plötzlich ein Moment der Verstörung. CdeB sagt seinen nächsten Song an, „St. Peter’s Gate“: Wir alle würden glauben, dass wir in den Himmel kämen. Aber wenn erst „Judgement Day“ ist, dann gibt es kein Entkommen mehr – wir alle würden uns nämlich in der Hölle wiedersehen, gemeinsam mit solchen Diktatoren wie „Mugabe, Stalin and Saddam Hussein“!! Verstörter, nur vereinzelter Applaus: Haben wir irgendwas nicht gewusst? Hat CdeB in Wirklichkeit eine schwarze Seele? Weiß er, wo sich Saddam Hussein aufhält? Fickt er mit dem Teufel?

Aber schon im nächsten Song beruhigt der Barde, eben doch ein Mann der Minne, uns wieder: Only love can reach the shore to heaven, wenn wir alle singen „like the angels, oh yes you do!“

Man dürfe ja nicht vergessen, erklärt Katja mir in der Pause, dass Chris de Burgh früher ganz andere Musik gemacht habe, richtigen Rock, mit Hippie-Botschaften von Weltfrieden und Revolution. Und auch heute ist er ja stimmlich noch voll auf der Höhe, lenke ich ein, gerade in den hohen Passagen. Katja nickt. „Lady in Red“, das war ja sein großer Erfolg, hat ihn natürlich versaut, 45 Millionen verkaufte Schallplatten und so weiter. Den Abend findet sie trotzdem wunderschön, sie freut sich schon auf die zweite Hälfte mit Orchester, das werde bestimmt noch besser. Den Vorschlag, früher zu gehen, nimmt sie nicht so gut auf.

Kurz nach zehn ist es dann endlich so weit. Chris de Burgh sagt: „I feel romance in the air tonight.“ Die Bühne wird in rotes Licht getaucht, vom Orchester sind vor allem die Streicher zu hören, und es beginnt der Song, der das ganze Konzert lang wie eine Drohung über dem Abend gelegen hatte: „I’ve never seen you looking so lovely as you did tonight …“ Alle sind begeistert und liegen sich verliebt in den Armen. Wunderkerzen werden hochgehalten, und auf den Bürodachterrassen rund um den Gendarmenmarkt schwenken sie rote Taschentücher. Ein Augenblick wie fürs Poesiealbum. Selten hat man sich als Mensch unter Menschen fremder gefühlt. Aber Katja bleibt noch.