piwik no script img

Köln erwartet den Messias

Wolfgang Overath wird heute Präsident des misserfolgsverwöhnten 1.FC Köln. Durch die Wahl des Ex-FC-Spielmachers und Fußballweltmeisters wird alles mindestens gut oder sogar noch viel besser

VON BERND MÜLLENDER

Die Haare trägt er ein kleines bisschen altmodisch wie Franz Müntefering und ein großes bisschen zu lang, jedenfalls hinten. Aber so hatte man das eben zu Wolfgang Overaths großen Tagen in den frühen 70er Jahren, als er „am Ball wie ein Einstein“ (WDR) mit der „Grazie einer Primaballerina“ (so damals eine brasilianische Zeitung) wirkte. Und Overath steht für Kontinuität.

Aktuell steht der 60-Jährige für die Hoffnung, dass alles wieder wie früher werde beim chronisch chaotischen Absteiger-FC. Heute Abend ist außerordentliche Mitgliederversammlung. Kein Zweifel: Overath, der 81-fache Internationale, Weltmeister 1974, aber auch Mitwirkender beim 0:0-Desaster 1968 in Tirana, wird zum Präsidenten gewählt. Köln erwartet den Fußball-Messias. Oder als Glücksbringer den menschlichen Verwandten des Geißbocks. Passenderweise konnte zu Overaths aktiven Zeiten keiner seine Mitspieler so anmeckern wie er.

Neulich noch war der Heilsbringer mit den FC-Altinternationalen zu Gast beim SC Uckerath. Ein Präsident, topfit und torpfostenschlank, der wie gefühlte 50 wirkt und noch einen derart gepflegten Ball spielt, dass manch aktueller FC-Profi sich für die eigenen Künste schämen müsste. Die Fans standen Schlange für Autogramme. Overath kokett: „Ich wundere mich ein wenig, dass ich die Hauptperson bin.“

Wolfgang Overath weiß genau, was den Euphorie liebenden Kölner noch wilder und sehnsüchtiger macht: „Auf längere Sicht müssen wir uns auch wieder unter den ersten fünf, sechs Klubs etablieren. Denn der FC gehört nicht auf Platz 12 oder 15, sondern zu Bayern München und dem Hamburger SV.“ Das haben schon viele in Köln tausend Mal falsch versprochen. Aus dem Mund von Wunder-Wolfjang wird es zum Evangelium. „Unsere Vision ist es, um internationale Plätze mitzuspielen.“ Er könnte auch heynckesartig sagen: „Und übernächstes Jahr holen wir den Europapokal.“ Niemand würde lachen.

Rheinischer Beckenbauer

Erstmal ist Zweite Liga Realität. Doch auch da lässt es sich dank des kölschen Fußballirrationalismus leben, wenn statt Bayern München und Juventus Turin nächste Saison Erfurt und Burghausen zu Besuch kommen. Die meisten Logen und Business-Sitze in Müngersdorf sind abgesetzt, und fast 1.000 Dauerkarten allein am ersten Tag des Vorverkaufs – Kölner Fußballfieber sprengt jedes Thermometer, dank Overath.

Widerspruch zu Overath gibt es nicht, schon gar nicht Opposition. Vor allem die Kölner Medien halten still. Der Kölner Stadt-Anzeiger beobachtet lediglich süffisant: „Egal, was er sagt, die Menschen hängen an seinen Lippen, ... wie die These von intelligentem Leben auf dem Mars oder gar auf der Erde – es reißt die Menschen zu Jubelstürmen hin.“ Eine Art rheinischer Franz Beckenbauer also, der auch schon „kölsche Lichtgestalt“ apostrophiert wurde und passenderweise den FC zurück „ans große Licht führen“ will, wie er sagt.

Overaths ausgeprägter Machtinstinkt blieb immer im Hintergrund. Was wird aus Trainer Marcel Koller? „Ich halte viel von Koller als Fachmann“, sagt Overath sibyllinisch. „Aber ein Trainer, der 20 von 25 Spielen verliert, ist in großer Gefahr.“ Der Overath-loyale Express, Großmacht der Heimatsportpolitik, berichtet derweil, ein Vereinsfreund habe den werdenden FC-Fürsten sorgenvoll angesprochen („Koller will keiner mehr haben. Sehen Sie zu, dass sie das regeln“) und nennt das gleich „Sponsorenaufstand gegen Koller“. Balkendicke Schlussfolgerung: „Koller wackelt“.

Nach solchen Doppelpässen von Volkes Stimme und Volkes Blatt muss Overath nur noch vollstrecken. Gerüchteweise steht der Ex-Aachener Jörg Berger in den Startlöchern. Ob Manager Andreas Rettig bleiben darf, gilt auch nicht als sicher.

Wochenlang war auch die Personalie Dr. Bernd Steegmann unstritten. Der Zahnarzt sitzt seit 1993 im FC-Präsidium und wollte den Platz nicht für den Overath-Spezi und FC-Ex-Profi Jürgen Glowacz räumen. Doch beim putzigen „Eff Zeh“ in der Mauschelmetropole Köln wurde doch noch „eine gütliche Einigung“ erzielt. Nach wochenlanger Debatte schwenkte Overath am Mittwoch um, „damit wir in dieser schwierigen Zeit unsere ganze Kraft auf die Lösungen der anstehenden Sachfragen und nicht auf Personalfragen konzentrieren.“ So wird halt ein weiterer Vize installiert. Express am Freitag: „Der FC-Friede“.

Ostblockhafter Zuspruch

Steegmann ist dann so etwas wie ein „Berater des Prädidiums“, was Overath war, bevor er Vorgänger Caspers, den ungeliebten „Abstiegs-Albert“, im Mai zum Rücktritt trieb. Zuvor war Overath mit Hilfe einer großen Koalition der Unvernunft aus Populisten-OB Schramma („Wir brauchen jetzt Visionen!“) und dem mächtigen Boulevard angetreten: Wolfjang, mach et! Hilf dem FC! Es war ein klug inszenierter Putsch der Linksfuß-Legende, der schon auf dem Platz stets elegant wirkte und im Zweikampf überaus giftig werkte.

Overaths neues Büro im Stadionkomplex ist schon eingerichtet, 40 Quadratmeter groß, Velours-Teppich in grau, Blick zum Spielfeld und großer Fernseher, „aber kein überflüssiger Schnickschnack“, wie der Express befand. Original-Lichtgestalt Franz Beckenbauer hat dem Weggefährten mitgegeben: „Er, der Gescheite, hat jahrelang auf der Tribüne gesessen und nur kritisiert. Jetzt kommt er endlich runter und übernimmt Verantwortung. Endlich hat er es kapiert.“ Overath bedankt sich: „Ich habe meinen Verstand ausgeschaltet und das Herz sprechen lassen, ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie unser großartiger Verein in der Zweiten Liga herumkrebst.“

Für den Krebsgangpräsidenten wird bei der Wahl ostblockhafte Zustimmung erwartet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen