„Rückständig und unterwürfig“

Vor 100 Jahren tagten in Berlin tausende beim Internationalen Frauenkongress. Statt kritischer Bestandsaufnahme wollten die deutschen Damen ihr Image polieren: Sie galten als rückständig

INTERVIEW VERONIKA NICKEL
UND ADRIENNE WOLTERSDORF

Vor genau 100 Jahren fand zum ersten Mal der Internationale Frauenkongress in Berlin statt. War das eine Sensation?

Magdalena Storm: Es war damals sehr ungewöhnlich, dass Frauen öffentlich auftraten. Außerdem hatten viele die Vorstellung, dass Frauenrechtlerinnen alt und verschroben sind. Die Presse hat intensiv beobachtet, wie sie angezogen waren, und dann festgestellt, dass sehr hübsche, auffallend schöne Frauen dabei waren.

Heute erinnert sich kaum jemand an dieses Datum. Gab es denn damals überhaupt öffentliche Resonanz?

Es gab jeden Tag ausführlichste Berichterstattung, seitenweise wurde über die Inhalte berichtet. Auch darüber, wie rückständig das Deutsche Reich im Verhältnis zu den skandinavischen Ländern oder zu Amerika bezüglich der Frauenfrage war, wo es bereits seit Jahrzehnten erfolgreiche Frauenuniversitäten gab.

War der Kongress schließlich ein Erfolg für die deutsche Frauenbewegung?

Auf der Kontaktebene ganz bestimmt, denn er ermöglichte einen Austausch von Neuseeland bis Ungarn. Für die deutschen Frauen war das besonders wichtig, weil es darum ging, das ziemlich schlechte Ansehen der deutschen Frauenbewegung zu verbessern. Fortschrittlichere „Kulturvölker“, wie man das damals bezeichnete, hatten teilweise schon das Frauenstimmrecht, sehr häufig aber das kommunale Wahlrecht. Auch die Universitäten waren in vielen westeuropäischen Ländern schon lange für Frauen offen. Hier mussten die deutschen Frauen sagen: Seit 1902 dürfen wir zwar Hörerinnen an der Universität in Jena sein, aber keinen Abschluss machen. Das galt international als rückständig und unterwürfig gegenüber dem deutschen Ehemann.

Sie sprechen von den Hindernissen, die den deutschen Frauen damals in den Weg gelegt wurden. Welche sind das?

Die Frauen wurden mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, das 1900 in Kraft trat, sehr benachteiligt, ja sogar schlechter gestellt, als sie vorher waren. Vor allem Ehefrauen wurden geradezu entmündigt. Sie durften nicht über ihr Vermögen entscheiden und waren mit dem Ehemann in der Ausübung der elterlichen Gewalt über ihre Kinder nicht gleichberechtigt. Natürlich haben sich die Frauen dagegen gewehrt, im so genannten Frauenlandsturm. Selbst als das BGB längst in Kraft getreten war, wollten die Frauen weiterprotestieren. Das war einer der Gründe, warum sie diesen Internationalen Frauenkongress abhalten wollten. Sie wollten der Welt zeigen, dass die deutschen Frauen nicht passiv alles über sich ergehen lassen, sondern kämpfen.

Was wollten die Frauen denn in erster Linie mit diesem Kongress erreichen?

Die deutschen Frauen wollten darstellen, dass es lebendige, in viele Facetten reichende Frauenaktivitäten im Deutschen Reich gab. Und dass sie im Bereich der Frauenbildung und Berufstätigkeit schon seit fast einem halben Jahrhundert sehr aktiv waren.

Es ging also nicht um eine kritische Bestandsaufnahme und den Austausch von Lösungsansätzen?

Sie sind nicht mit einem negativen Ansatz herangegangen, sondern wollten zeigen, was schon alles geschafft wurde. In erster Linie haben sie um die öffentliche Anerkennung gerungen, da kein Land den Frauen solche großen Hindernisse in den Weg legte wie Deutschland.

Waren die deutschen Frauen in ihren Zielen geeint?

Innerhalb der Frauenbewegung gab es erhebliche Differenzen. Im Vorfeld des Kongresses waren einige der radikaleren Frauenrechtlerinnen ausgeschert. Sie wollten nicht mitmachen, wenn das Frauenstimmrecht nicht stärker thematisiert würde. Dennoch war es durchaus so, dass Arbeiterinnen und Sozialdemokratinnen an diesem Kongress teilnahmen.

Statt nun deutlicher ihre Rechte zu fordern, blieben sie zaghaft. Haben die deutschen Frauen die Chancen dieses Kongresses, die Publizität, verspielt?

Das ist schwierig zu beantworten. Ich glaube nicht, dass die Frauen die Erwartung hatten, dass sich nach dem Empfang beim Reichskanzler und bei der Kaiserin die Rechtslage, die im BGB gerade nachteilig für sie festgeschrieben worden war, ändern lassen würde. Sie wollten mit diesem Kongress aber deutlich zeigen, was im Deutschen Reich im positiven Sinne alles von Frauen gemacht wurde. In ganz Berlin verstreut gab es dazu Ausstellungen, Empfänge, extra organisierte Theaterstücke, das war Aufsehen erregend.

Wir unterstellen den Frauen natürlich aus heutiger Sicht, dass sie alle das sofortige Wahlrecht wollten, die Gleichberechtigung etc. War das wirklich so?

Frauen wie Marie Stritt wollten das sicherlich sofort. Gerade aber aus der kirchlichen Ecke kamen sehr konservative Frauen. Der Evangelische Frauenbund zum Beispiel, der zu dem Zeitpunkt noch nicht in den Bund Deutscher Frauenvereine integriert war, war nicht für ein Frauenwahlrecht. Für ihn standen konfessionelle Fragen im Vordergrund. Die Konservativen bildeten eine große Fraktion innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung. Es war dann dieser Widerstand, an dem Marie Stritt ein paar Jahre später scheiterte.

Ein Beispiel?

1907 zum Beispiel startete Marie Stritt eine sehr kompetente Initiative zur Abschaffung des Paragrafen 218. Aber die evangelischen Frauen, die dann schon Mitglied im BDF waren, überstimmten die Radikalen knapp. Und damit war das Thema erledigt.

Offensichtlich warf man den deutschen Frauen bereits vor hundert Jahren vor, in ihrer Emanzipation eher rückständig zu sein. Womit lässt sich das erklären?

Zum einen waren die Frauen, so wie ihre Männer, eher militaristisch, deutschnational orientiert. Sie glaubten nicht an eine internationale Verschwesterung im Rahmen der Friedensbewegung, sondern hielten das für eine Utopie einiger Visionärinnen. Ich glaube aber, dass die Frauen im Deutschen Reich in erster Linie sehr geprägt waren von dieser idealistischen Überhöhung des Frauseins und ihrer Mutterrolle.

Dieser Internationale Frauenkongress scheint schnell in Vergessenheit geraten zu sein. Bedauern Sie, dass dieses Jubiläum nicht zu einem neuerlichen groß angelegten Frauenkongress mit aktuellen Themen genutzt wird?

Ja. Heute müssten sich die Frauen stärker mit islamischen und asiatischen Frauen austauschen.