Hungern für demokratische Wahlen

Drei weißrussische Abgeordnete sind seit mehr als einer Woche im Hungerstreik. Mit dieser Aktion wollen sie eine Änderung des Wahlgesetzes erzwingen. Dieses bietet dem Regime vielfältige Möglichkeiten für Fälschungen

BERLIN taz ■ Zu einem eher ungewöhnlichen Mittel des Protestes gegen das autoritäre Regime von Präsident Alexander Lukaschenko haben drei weißrussische Abgeordnete gegriffen: Seit über einer Woche befinden sich Waleri Frolow, Uladzimir Parfenowitsch und Sergei Skrabets im Hungerstreik. Die drei gehören der parlamentarischen Gruppe „Respublika“ an, die sich im weitgehend Lukaschenko-hörigen Parlament zu einer Art Opposition gemausert hat.

Grund für den selbst auferlegten Nahrungsmittelentzug ist der vergebliche Versuch der Vertreter von „Respublika“, einen Antrag zur Änderung des Wahlgesetzes auf die Tagesordnung des Parlaments setzen zu lassen. Während der fraglichen Sitzung am Donnerstag vorletzter Woche hatte der Parlamentsvorsitzende während des Auftrittes von Waleri Frolow diesem das Mikrophon abstellen lassen. In einer Erklärung, die Frolow auf der Straße verlas, heißt es, dass die Verantwortlichen aufgrund des geltenden Wahlrechts ihrer zeitlich unbegrenzten Herrschaft sicher sein können. „Doch diese Regierung gründet auf Terror, Gewalt und der Repression derjenigen, die den Mut haben, diese Verantwortlichen zu kritisieren.“

Zudem fordert „Respublika“ die Freilassung von Michail Marynitsch. Der Exminister für Außenwirtschaftsbeziehungen, der zu einem erklärten Opponenten Lukaschenkos mutiert ist, war am 26. April vom KGB verhaftet worden. Ihm wird der illegale Besitz von Waffen und Munition zur Last gelegt.

Dass Weißrusslands Präsident, dessen Umfragewerte sinken, kein Interesse an einer Änderung des Wahlgesetzes haben kann, liegt auf der Hand. So, wie die Vorschriften aussehen, sind – wie im Herbst 2000 – auch bei den für den 17. Oktober geplanten Parlamentswahlen Fälschungen zuungunsten der Opposition Tür und Tor geöffnet. Das beginnt bei der Zusammensetzung der Wahlkommissionen, von denen die Opposition ausgeschlossen ist, und endet bei der Möglichkeit, seine Stimme schon einige Tage vor dem Wahltermin abgeben zu können.

Doch Lukaschenko braucht auch noch aus einem anderen Grund ergebene Abgeordnete. Nach einem zweifelhaften Referendum vom November 1996, mit dem der Präsident seine Amtszeit schon einmal um zwei Jahre verlängerte, wäre jetzt 2006 endgültig Schluss.

Doch derzeit glaubt niemand daran, dass der Autokrat freiwillig das Feld räumt. Kritiker befürchten daher, dass Lukaschenko ein neues Referendum anberaumen könnte, die die Volkswahl des Präsidenten zugunsten einer durch das Parlament abschaffen würde. Dort hätte der Präsident die Mehrheit, wäre die leidige Mandatsfrage los und könnte diesen Schritt dem Volk noch als Kompetenzzuwachs des Parlaments verkaufen.

Nach einer durchwachten Nacht im Parlamentsgebäude haben die Abgeordneten ihre Aktion in die Wohnung von Waleri Frolow verlegt. „Wir machen weiter, solange unsere Kraft reicht“, sagt Uladzimir Parfenowitsch. Sorgen mache ihm der Zustand von Frolow, der Herzprobleme habe, doch „eine erste Krise ist vorüber“. Mittlerweile hätten sich fünf Mitglieder der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei und ein Vertreter der Weißrussischen Volksfront (BNF) dem Streik angeschlossen.

Die grüne Euopaabgeordnete Elisabeth Schroedter sieht in dem Hungerstreik der Abgeordneten eine Verzweiflungstat. „Ich hoffe, dass die Bevölkerung aufwacht und es zu einer breiten Solidarisierungswelle kommt“, sagt sie. Solche Illusionen hat Parfenowitsch nicht. Auch glaubt er nicht an einen für „Respublika“ positiven Ausgang der Aktion – obwohl das Parlament den Vorschlag für Ende des Monats auf die Tagesordnung gesetzt hat. „Die Abgeordneten“, sagt Parfenowitsch, „werden das Projekt blockieren.“ BARBARA OERTEL