Der innere Bürgerkrieg

Ist Wahlverweigerung böse? Hat sie nicht einfach nur der FDP geholfen? Sind die Grünenüberhaupt noch wählbar? Und: Ist Barthez feucht im Kopp? Innenansichten dreier Wahlberechtigter

Weit über die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland ging am Sonntag nicht zur Europawahl. Was ging in den Köpfen der Zweifler, der Nichtwähler und der Wähler vor? Drei Monologe.

Der Zweifler

Ich? Nicht zur Wahl gehen? Ich bin doch nicht asozial! Erstaunlich, wie tief der Reflex sitzt, Wahlverweigerung sei böse. So war mein Sonntagsausflug begleitet von einem inneren Bürgerkrieg.

1. Trotz. Hat sich vor Sonntag eigentlich je ein Europapolitiker um meine Stimme bemüht? Nicht, dass ich mich erinnern kann. Ein bisschen persönliche Ansprache hätte schon sein dürfen. Schade, dass die FDP keine Option war, die haben wenigstens am Tag vor der Entscheidung auf meinem Gemüsemarkt einen Stand aufgebaut.

2. Nachsicht. Ist es wirklich wichtig, dass ich die Namen meiner Kandidaten kenne? Schließlich haben sie mich die letzten fünf Jahre auch nicht interessiert. Und für die Osterweiterung war ich schon aus historischen Gründen, die wichtigste Entscheidung hat die EU also hinbekommen, auch ohne dass ich Dagmar Roth-Berendt buchstabieren kann (oder Ruth-Berent?).

3. Entschluss. Trotzdem: Wie lange soll das noch weitergehen mit dem gefühlten Demokratiedefizit in Brüssel? Und welche andere Gelegenheit kriege ich in den nächsten fünf Jahren, den Merkels, Schröders, Fischers klarzumachen: ohne mehr Mitsprache für mich habe ich keine Lust mehr mitzureden? Also, Abstinenz: Erst wenn ihr euch für meine Rechte stark macht, gönne ich euch eure Pfründen.

4. Restzweifel. Und was unterscheidet mich jetzt von einem Rep oder DVUler? Wo bleibt meine politische Reife? Muss man immer gleich aussteigen als Bürger aus der Politik, bloß weil einem mal was nicht schmeckt? Bin ich nur ein politischer Suppenkasper? PATRIK SCHWARZ

Der Nichtwähler

Europa-Wahlen zur gesamteuropäischen Fußball-Meisterschaft? Nö, da gehe ich doch lieber auf den Schöneberger Sportplatz, wo mir der Bratwurstverkäufer erklärt, dass der französische Torwart Barthez zwar genial, aber auch etwas „feucht im Kopp“ sei. Aber wählen gehen, das wäre Unfug. Wen oder was sollte ich bitte schön auch wählen? In England gibt es wenigstens eine Partei, die sofort und kompromisslos raus will aus der EU. Aber hier?

Sicher, die EU hat Vorteile. Aber wiegen sie die Nachteile auf, den Sozialabbau, die durch den Euro kaschierte Teuerung und was da sonst noch über uns hereinbrach?

Es liegt nicht daran, dass es den Parteien „nicht gelingt, die Ziele zu vermitteln“, wie sie es immer wieder im Angesicht hoher Verluste und desaströs geringer Wahlbeteiligung in die Mikrofone blasen. Sie haben keine Ziele – jedenfalls nicht solche, die man wählen kann. Bei Kommunalwahlen ist das noch einfach, da hab ich auch schon mal mit dem Kreuz für die CDU-Kandidatin geliebäugelt, weil sie eine prima Idee hatte. Aber auf „höherer“ Ebene? Die Grünen sind zum Jasagerverein für Besserverdienende verkommen, und spätestens seit sie dem Kosovo-Einsatz zugestimmt haben, sind sie für mich nicht mehr wählbar.

DIETER GRÖNLING

Der Wähler

Ich mach’s kurz: es ist unsinnig, sich nicht an einer demokratischen Wahl zu beteiligen. Ich mag zufrieden sein oder unzufrieden mit der Politik der EU, aber wenn ich mich verweigere, ändert das nichts. Oder ändert doch etwas: es erhöht das Stimmgewicht derer, die rechtsradikal wählen. Oder gar die FDP. Und so ist es ja auch gekommen: deren Leute sitzen wieder im EU-Parlament. Na, herzlichen Glückwunsch dafür, liebe Nichtwähler.

STEFAN KUZMANY