„Brechen Sie Regeln“

180 LehrerInnen erkannten im Organisationspsychologen und Managementberater Peter Kruse ihren Meister

von Eva Rhode

„Mal was Anderes.“ – „Sehr gut!“ 180 LehrerInnen zu begeistern ist schwer. Besonders wenn es um Veränderung geht, um die Dynamik der Globalisierung, die Schneisen schlägt und Leistung, Leistung, Leistung auch in den kleinsten Schulstuben fordert. Dennoch waren die TeilnehmerInnen der LehrerInnenfortbildung „Kultur des Wandels“, die der Metro-Konzern vergangene Woche in Bremen sponsorte, durchweg begeistert.

Mehr Stunden arbeiten, besser ausbilden, weniger Urlaub und weniger Weihnachtsgeld sowie außerdem Pisa-Tests bestehen – den Lehrern klingeln die Ohren. Sie sollen ihren SchülerInnen den Anschluss ans steigende Weltniveau garantieren. „Eine gigantische Aufgabe“, sagt dazu der Bremer Organisationspsychologe, Firmenerbe, Unternehmer und Managementberater Professor Peter Kruse – und schaut eindringlich auf die 180 Berufs-, Haupt- und RealschullehrerInnen, die im eigens angemieteten Veranstaltungssaal des Bremer Freizeitcenters Space-Park vor ihm sitzen.

Der promovierte Experimentalpsychologe Kruse gilt als eine Koryphäe auf dem Gebiet des Change-Management, der erfolgreichen Bewältigung von Veränderungsprozessen also. „Komplexität und Dynamik erfolgreich meistern“ lautet richtungsweisend das Fortbildungsthema, zu dem die Metro AG in Abstimmung mit der Bremer Bildungsbehörde eingeladen hat. Es ist eine von mehreren hochkarätigen Veranstaltungen in Deutschland, mit denen der Konzern das eigene Image stärken, aber auch qualifizierten Nachwuchs für den wenig begehrten Job im Handel interessieren will. Die Zielgruppe der Lehrer nimmt das unbefangen an. „Ohne Kooperation mit Unternehmen könnten wir unsere wichtigsten Aufgaben heute doch kaum noch wahrnehmen“, wird ein Schulleiter später am Rande der Veranstaltung sagen und zugleich auf das Technologie-Sponsoring von Kommunikationsunternehmen und Softwarehäusern hinweisen. „So ist das heute.“

Die Schutzzonen brechen überall zusammen

„Die Veränderung ist rasant. Die Dynamik explodiert“, sagt vorne immer wieder der Referent. Für Kruse geht es nur noch um das Wie-damit-umgehen: Wie können Menschen noch mehr leisten? Wie wird der Weg dahin, der Wandel, organisiert? Wie können Menschen Komplexität und Dynamik bewältigen – ohne dass sie körperlich zusammenbrechen oder im Kopf dicht machen? Beides seien natürliche Reaktion auf Überforderung, die es aber zu vermeiden gelte, so Kruse, der schon viele Hinweise auf eine wachsende Bereitschaft zur Verweigerung gegenüber dem Neuen erkennt. Warum sonst könnte die Werbebranche mit Slogans landen wie: „Geiz ist Geil“ oder „Leben Sie, wir kümmern uns um die Details“? Beides Beispiele für verlockende Vereinfachungen – mit denen Kruse seine ZuhörerInnen zugleich nachdenklich macht darüber, in welchen Nischen sie schon selbst sitzen. Das kommt an.

Gebannt verfolgen die Lehrer jedes Wort und jede Bildsequenz, die der Managementberater präsentiert – über das exponentielle Wachstum in der Kommunikationsbranche, über PatientInnen, die sich im Internet zu Experten ihrer Krankheiten fortgebildet haben und nun mehr wissen als der Arzt, oder über den Kapitalmarkt, der Milliardenbeträge in Sekundenschnelle durch die Welt verschiebt. „Die Schutzzonen brechen zusammen“, konstatiert Kruse. „Die einzige Chance dagegen, einen weltweit geführten ethischen Diskurs über das, was sein darf, werden wir wohl nicht haben.“

Unter Druck verstärkt der Mensch nur, was er tut

Kurzweilig und spannend ist er – wie man das erwarten darf von einem, dessen Kunden sonst in den oberen Etagen bei BASF, Porsche oder Credit Suisse sitzen. Von einem, der mit seiner Bremer Beratungsfirma Nextpractice – die managen will, was nach der Best Practice kommt – den „Meeting Business Award 2002 in der Kategorie Mitarbeiterveranstaltungen“ bekommen hat. Es gibt keinen Zweifel: In Professor Kruse, das erkennen die LehrerInnen, haben sie ihren Meister gefunden. Selbst wenn die Hauptschullehrerin aus Grasberg leise murmelt: „Mit PowerPoint würde mein Unterricht auch anders aussehen.“

Kruse weiß, was Menschen auf die Barrikaden treibt, egal ob Pädagogen, Chefs oder Autobauer am Band. „Wenn der Boss zu dem sagt, dass er 80 Prozent zulegen soll, sonst ist der Job flöten“ – der Rest der Welt arbeite schließlich produktiver – „dann denkt der Arbeiter doch zu Recht: Der Chef hat nicht alle Bälle im Tor“, zeigt Kruse Verständnis für leistungsgestresstes Publikum. Unter Druck verstärke der Mensch nur, was er schon immer tat: „Machen Sie den Test: Schließen Sie morgens die Bürotür zu, die sonst immer aufsteht.“ Nach dem ersten Drücken der Klinke würde jeder als nächstes nur heftiger rütteln. Es müsse aber darum gehen, neue Wege und Lösungen aufzutun. „Prozessmusterwechsel“ nennt Kruse das und fordert, hinderliche Kulturlasten über Bord zu werfen.

„Deutschland ist eine risikoaverse Kultur“, kritisiert Kruse. Wie anders sei doch Oregon. Beispiel Rodeo. „Wenn der Bulle den Reiter im Ring abwirft, denkt der Deutsche: Mangelperformance.“ Der Amerikaner dagegen klatsche. „Weil der Mann so mutig war, dem Bullen überhaupt auf den Rücken zu klettern. Da kriegt der Risikoträger Applaus“, ruft Kruse. In Deutschland dagegen glaube jeder, man könne nur mit klaren, weit gesteckten Zielen vorankommen. Das aber stimme nur bedingt, bringt er das Beispiel von der Biene in der umgekehrten Flasche. „Die Biene will immer nur zum Licht“, fliege also im Zweifelsfall auch mit dem Kopf gegen die beleuchtete Wand. „Wie anders doch die Fliege.“ Die finde dank Versuch und Irrtum ganz schnell den Weg ins Freie. Kruses bildhafte Bilanz lässt seine ZuhörerInnen auflachen: „Es ist mitunter tödlich, ein festes Ziel zu haben.“ Deshalb sei die Aufgabe von LehrerInnen, „den Schülern zwischen sieben und 18 Jahren die Fähigkeit zu vermitteln, Risiko als Chance zu begreifen“.

Dass es auch tödlich sein kann, ohne festes Ziel zu unbekannten Ufern aufzubrechen, verschweigt Kruse seinem LehrerInnen-Publikum wie auch UnternehmerInnen nicht. Doch berge auch Verweigerung gegenüber dem Neuen Risiken. Gerade jetzt, in der Zeit des Aufbruchs, müsse man über Prozesswechsel nachdenken – also jeden Tag aufs Neue quasi eine Art Fosbury Flop entwickeln.

„Sie wissen es sicher noch“, ruft Kruse seinem Publikum zu, wie erst der Amerikaner Fosbury 1968 die bis dato scheinbar unüberwindbare Höhe von 2,20 Meter mit einem anfangs befremdlichen Drehsprung über die Stange schaffte. Von den Deutschen habe bei der Olympiade vier Jahre später nur eine – „und das ist vielleicht typisch“ – dasselbe probiert. Und Gold geholt. Ulrike Meyfahrt.

Nicht immer garantiere der Bruch mit Tradition und Regeln zwar Erfolg, räumt Kruse ein. Aber immer gelte: „Regeln stabilisieren das bestehende System. Wenn Sie das Alte nicht stören, bekommen Sie das Neue nicht.“

Die Botschaft für Lehrer buchstabiert Kruse fast: „Kinder in einem Lernprozess optimieren ständig. Dafür müssen sie Fehler machen dürfen.“ Der Lehrer habe die Aufgabe, das Alte und das Neue, Stabilität und Instabilität, in Balance zu halten. Dies sei eine quasi klassische Form des Managements von Prozesswechsel.

Veränderung geht nicht mit harmonischen Teams

Auf die neue Arbeitswelt bezogen mahnt Kruse vor den LehrerInnen, müsse die Balance zwischen Beharren und Erneuerung gewahrt werden, damit das Neue händelbar bleibe und nicht zum Zusammenbruch führe. Zudem, so warnt der Unternehmensberater, „geht Instabilität zu Lasten der Leistungsfähigkeit“. Profitabel seien nur die stabilen Phasen, erstrebenswert ein ausgewogener Wechsel – und eine gute Mischung von Erneuerern und Bewahrern in Teams, die im Aufbruch sind. „Verhindern Sie harmonische Teams“, mahnt Kruse. Und: „Veränderung tut weh. Dafür hat Sie niemand lieb.“

„Ich bin sehr nachdenklich geworden“, sagt später die Lehrerin aus Verden. Ihren Kollegen hat das Rodeo-Beispiel besonders beeindruckt. Und ein Dritter nimmt sich vor, auf die Quertreiber im Kollegium jetzt anders zu schauen. „Die sind vielleicht wichtiger als ich dachte.“