wiedersehen mit dem kinderschreck (2) von REINHARD KRAUSE
:

Der Polyp hatte zu einer langatmigen Gardinenpredigt angesetzt, wie zwei Wochen vorher auch schon. Alles lief auf papihaftes Belehren hinaus, man musste nur immer an den richtigen Stellen kleinlaut „Ja“ sagen, dann würde er von einem wieder ablassen. Nur diesmal zog es sich furchtbar in die Länge. Dass sich alle an die Verkehrsregeln halten müssten, wo wir denn hinkämen, tss, auf dem Bürgersteig fahren! Ob ich überhaupt den Fahrradführerschein gemacht hätte an meiner Schule, und so ginge es ja nun mal gar nicht.

Ich war doch schon so spät dran, gleich würde es klingeln, ich käme zu spät in den Unterricht, und alles nur, um mir diesen ganzen Quatsch schon wieder anzuhören. Kurz entschlossen und grußlos trat ich in die Pedale und war schon am Poller vorbei. Oje, der Polyp schrie mir hinterher, ich solle gefälligst anhalten, so eine Sauerei.

Die Vorladung kam trotzdem etwas überraschend, auf Behördenbriefpapier, ganz amtlich. Verkehrsunterricht auf dem Polizeipräsidium. Ich hatte ja nichts Schlimmes gemacht, fand ich, aber ich ging doch etwas bang zur Wache. Dort saßen schon etliche Delinquenten in meinem Alter. Dann flog die Tür auf und herein kam: der Kinderschreck. Maiko Naten aus der Gneisenaustraße! Hätt ich mir denken können, den hier zu treffen. Der hatte bestimmt mit dem frisierten Mofa einen Bullen umgenietet.

Der Wachtmeister erklärte uns das Verfahren. Einen nach dem anderen würde er unsere Fälle vorlesen. Allerdings ohne den Namen zu nennen (Gott sei Dank!). Und dann würde das Delikt besprochen, damit wir es in Zukunft nie wieder täten. Ja gut.

Es fing furchtbar harmlos an. Ein Kind hatte beim Abbiegen nicht links, nicht rechts geschaut und auch den Arm nicht rausgestreckt. Dafür musste man schon hier antanzen? Oder das Licht war defekt gewesen. So ging es gemächlich weiter. Irgendwann wurde der Fall einer Schülerin vorgestellt, „vom Lyzeum, man glaubt es nicht“, vom Königin-Mathilde-Gymnasium. Die war bei Rot über eine Ampel gefahren, obwohl die Bullen direkt daneben standen. Hohoho, raunte die Blase um Maiko Naten. Ich spürte, wie langsam und scheußlich Hitze in mir aufstieg.

Und dann war schließlich mein Vergehen an der Reihe. „Ein besonders dreister Fall, das muss man schon sagen.“ Wie ein Schüler auf der Brücke nicht vom Fahrrad abgestiegen, sondern einfach über den Bürgersteig geradelt sei. Und dass der Schüler das zwei Wochen vorher schon mal gemacht hätte. (Zustimmendes Gemurmel aus den hinteren Reihen.) Dass er angehalten worden sei und dann plötzlich mitten in der Belehrung getürmt wäre. („Donnerwetter!“, drang es anerkennend an mein Ohr.) „Sssst um den Poller rum!“ Und dass der Diensthabende alle Mühe gehabt hätte, die Verfolgung aufzunehmen. Jetzt gab es für Maiko Naten kein Halten mehr. „Super!“, jubelte er, nun ganz ungeniert. „Da hört sich ja wohl alles auf!“

Der Wachtmeister schob noch nach, dass der Schüler („ein Gymnasiast!“) zum Glück für die Allgemeinheit kurz vor seiner Schule doch noch hatte gestellt werden können. „So’n Pech aber auch!“ Das war wieder der Kinderschreck, fast ehrfurchtsvoll. Applaus aus der falschen Ecke, gewiss, aber sehr wohltuend.