Filigrane Choreographien

Die 30. Hamburger Ballett-Tage haben internationale Ensembles geladen und präsentieren – auch zu John Neumeiers Jubiläum – einen soliden Mix aus Klassik und Moderne

von Marga Wolff

Im 30. Jahr seines Schaffens mit dem Hamburg Ballett – die diesjährigen Ballett-Tage sind Ausdruck dieses Jubiläums – zieht John Neumeier Bilanz. So präsentieren die im Jubiläumsjahr auf drei Wochen ausgedehnten Hamburger Ballett-Tage neben jüngsten Choreografien wie Tod in Venedig und Winterreise die Neumeier-Klassiker Schwanensee, Die Kameliendame und die Dritte Sinfonie von Mahler.

Den Auftakt machte am Sonntag vor einer Woche, in leicht angestaubter Ausstattung, dafür in erfrischend junger Besetzung, Romeo und Julia, 1974 Neumeiers erstes abendfüllendes Ballett für Hamburg, mit dem er das Publikum endgültig für sich begeisterte. Denn anfangs waren die Hamburger dem neuen Ballettchef gar nicht zugetan. Doch von da an multiplizierten sich Kreativität und Ruhm. Eine Karriere, deren vorläufige Krönung am vergangenen Sonntag von Kultursenatorin Karin von Welck in der Hamburgischen Staatsoper verkündet wurde: John Neumeier bekommt von der Stadt sein Ballettmuseum. In einer Villa in Harvestehude soll seine Ballettsammlung, eine der größten Privatsammlungen der Welt, für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In deren oberen Stockwerken wird der Sammler selbst wohnen. Zurzeit ist man dabei zu überlegen, wie dieses unübliche Wohnrecht aus öffentlicher Hand in die anstehende Vertragsverlängerung des Ballettintendanten integriert werden kann. Hamburg wird somit bald eine weitere Pilgerstätte in Sachen Tanz haben.

Das Nebeneinander verschiedener Stile und Traditionen bieten die diesjährigen Ballett-Tage in der Tat: Da sind zum Beispiel jene Choreo-Compagnien, die der Ballettchef in die Staatsoper eingeladen hat. Choreo-Compagnie meint ein Ensemble, das durch Stil und Schule eines Choreografen geprägt ist und in dessen Tradition seine Arbeit fortführt. Wie lebendig das selbst nach 150 Jahren noch aussehen kann, zeigten die Solisten des Königlich Dänischen Balletts aus Kopenhagen mit leichtfüßig getanzten, technisch höchst diffizilen Bournonville-Choreografien.

Maurice Béjart, in seinem 50. Jahr als Ballettdirektor soeben mit dem Movimentos-Tanzpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, schickte mit Oscar Chacon und Tadayoshi Kokeguchi zwei Schüler seiner berühmten École Rudra.

Doch die echte (Narren)- Freiheit im Tanz beginnt jenseits der 50. Jirí Kylián reiste mit seinem „Senioren“-Ensemble namens Nederlands Dans Theater III an, überbrachte seine Glückwünsche mit der Slapstick-Choreografie Birth-Day. Stars wie Sabine Kupferberg, Egon Madsen und Gérard Lemaitre gehören dieser weltweit wohl einmaligen Truppe an. Gestandene Tänzerpersönlichkeiten, die hier zu Mozarts Musik unter verrutschter Rokoko-Perücke hinreißend komisches Mimenspiel boten, während sie im Hintergrund auf der Leinwand wahnwitzige Säbelgefechte und amouröse Verfolgungsjagden hinlegten.

Nur einer konnte nicht in direkter Nachfolge vertreten werden. Die Schule von George Balanchines New York City Ballet musste aufgrund einer Verletzung absagen. Stattdessen zeigte die Schule des Hamburg Balletts eine Hommage an den 1983 verstorbenen Meister der Neoklassik, choreografiert von dessen einstigem Schüler Kevin Haigen. Und schließlich, der Chronistenpflicht wegen aufgeboten: Hochklassisches, sprich: der Grand Pas de deux aus Petipas Dornröschen, getanzt von Daria Pavlenko und Daniil Korsuntev vom Ballett des Mariinsky-Theaters aus St. Petersburg.

Die wichtigste Compagnie für Neumeier ist selbstverständlich das Stuttgarter Ballett, in dem er noch zu John Crankos Lebzeiten erste choreografische Schritte ging. Mit den Ersten Solisten Sue Jin Kang, Ivan Gil-Ortega und Jirí Jelinek zeigte das Stuttgarter Ensemble den gesamten dritten Akt aus Crankos Onegin, ein erstklassig choreographiertes, explizit erzählerisch angelegtes Stück. Marga Wolff