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strohstocher von JÜRGEN ROTH

Rechts stand ein Mann mit meterlanger Nackenmatte und Haarrollo vorm Gesicht. Er zupfte den Bass und regte sich weiter nicht. Links auf der Bühne des kleinen Musiktheaters an der Bergstraße sprang ein zweiter Mann herum. Er spielte eine Gibson SG, und durch ihn, den Jüngsten der vierköpfigen Band, bezeugte sich einmal mehr die Wahrheit des SG-Gesetzes. Ein Gitarrist, und sei er ambitioniert wie dieser Mischling aus Grunger und Sabbath-Prediger – ein Gitarrist, der sich der SG bedient, ist seltenst ein Supergitarrist.

Zwischen oder über die flangerverklebten Akkorde sang ein mal mehr rechts, mal mehr links herumstolzierender Southern-Rock-Vokalist mit Stevie-Ray- Vaughan-Hütlein ein paar schlichte Lines. Angekündigt von den Bogart-Brüdern selbst als Vorband ebenjener grauen Helden, die als Vanilla Fudge vor 30 Jahren die Hallen der Rockwelt belärmt hatten, unternahmen The Lizards, so hießen sie, das Mögliche, um den 100, vielleicht 150 Zuschauern zu gefallen.

Uns gefiel mehr und mehr der Mann in der Mitte. Er hockte recht tief hinter dem Schlagzeug, fast so, als hätte man ihn auf einem abgesenkten Bühnenkarree platziert. Über eine derartige technische Finesse verfügt das „Musiktheater Rex“ aber nicht. Also war er einfach ein kleiner Mann, der dafür umso souveräner, wie ein dienstalter Möbelpacker und gleichzeitig ein erfahrener Jongleur, die Snare, die Toms und die Becken bearbeitete. Ich dachte: Hm, so eine Mischung aus einem etwas dickeren Ian Paice und einem geschrumpften Cozy Powell, der Mann.

Ab der Mitte des Sets beobachteten wir eigentlich nur noch ihn. Er gab, ohne den massigen Oberkörper allzu sehr in Bewegung zu setzen, ziemlich „Zunder“, und gleichzeitig schien ihn der ganze Krach nicht die „Bohne“ zu interessieren. Während einer Bridge rückte er die extrem locker ausschauende rote Sonnenbrille zurecht, während einer anderen verdrehte er die Augen, weil der grüne Spund rechts von ihm den Einsatz „vergeigt“ hatte, und die ganze Zeit hing ein Strohhalm in seinem linken Mundwinkel.

Erst zum Solo, zum Schlagzeugsolo, einer Sache, die wohl bloß noch in Musiktheatern zu hören ist, nahm der Mann die Sonnenbrille ab, der Strohhalm jedoch blieb, wo er war. Nun federte der Strohhalm ein wenig auf und ab, ja, er machte sogar Anstalten, den Weg von links nach rechts zu finden. Wir begannen zu lachen, denn es sah, obwohl diese Strohhalmgeste nicht gar zu neu ist, wahrhaft cool aus – und würdevoll.

Hinterher stellte sich heraus, dass dieser Mann keinen Strohhalm, sondern einen Zahnstocher im Mund spazieren führte. Ich hatte später, nachdem ich gehört hatte, wer er tatsächlich war, den unglaublichen Mut aufgebracht, ihn anzusprechen, ihm dann ein Getränk zu spendieren und mich mit ihm richtig zu unterhalten, über die alten Zeiten mit Herrn Blackmore und so, mit dem er mehrere Jahre zusammengespielt hatte, das war wie Kindergeburtstag.

Meine Frau sprach dann auch mit Bobby Rondinelli. Ich hab jetzt ein Autogramm, sie hat signierte Drum Sticks. Zusammen haben wir, durch sie, Bobbys Telefonnummer und eine Einladung zu einem seiner nächsten Auftritte. Astrein, finde ich.

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