Es ist einsam auf dem Gipfel

Ausgerechnet vor dem CSU-Parteitag muss sich Edmund Stoiber mal wieder über seinen alten Rivalen Theo Waigel ärgern

Das Potenzial für Privatisierungen in Bayern ist ausgeschöpft. Jetzt drohen die Folgekosten

aus München JÖRG SCHALLENBERG

So will er gesehen werden, so sollen ihn die Bildjournalisten für die Nachwelt festhalten: Auf dem höchsten Berg der Republik stehend, den Blick in die Weiten des Alpenpanoramas gerichtet, einsame Spitze eben – Edmund Stoiber, unumschränkter, weiser Herrscher des Bayernlandes, hatte Anfang der Woche zum Spitzentreffen der CSU auf die Zugspitze geladen. Dumm nur, dass sich hinter Stoiber der Abgrund des Höllentals auftat.

Aus den Tiefen der Hölle, so scheint es, kam für Stoiber ein Artikel seines ehemaligen Rivalen Theo Waigel – verfasst just zum Termin des öffentlichkeitswirksamen Gipfeltreffens und nur wenige Tage vor dem diesjährigen Parteitag der Christsozialen in Nürnberg.

Oberflächlich betrachtet ist für die CSU alles in bester Ordnung. Die Partei hat die Landtagswahlen im kommenden September eigentlich schon gewonnen. Niemand zweifelt am schwarzen Wahlsieg, ernsthafte politische Konkurrenz gibt es nicht. Die interessanten Konflikte werden daher innerhalb der Partei ausgetragen. Der Störenfried der Stunde heißt Theo Waigel. Waigel gibt sich seit dem Ende der Ära Kohl und dem Scheitern aller seiner Ambitionen innerhalb der CSU als intellektueller bayerischer Freigeist. In einem Beitrag für die FAZ machte sich der Exparteichef öffentlich Gedanken über die spannenste Frage der bayerischen Landespolitik: Wer kommt nach Stoiber?

Von Interesse sind dabei, zumindest vorläufig, vor allem zwei Namen: Horst Seehofer und Monika Hohlmeier. Seehofer, Ex-Bundesgesundheitsminister, profiliert sich bereits seit geraumer Zeit sowohl als unverzichtbarer CDU/CSU-Experte im Bereich Gesundheitspolitik als auch, wenn es sein muss, als offener Gegenspieler zu Edmund Stoiber – im März etwa protestierte Seehofer gegen Stoibers Konzept zur Sozial- und Arbeitsmarktreform, zuletzt leistete er sich eine „private Meinung“ gegen die Ausgliederung von Zahnersatz aus der gesetzlichen Krankenversicherung. So viel Unverfrorenheit gepaart mit unbestrittener Fachkompetenz kommt bei vielen Delegierten gut an und verschafft Seehofer trotz seiner fehlenden Volkstümlichkeit innerhalb der eigenen Partei respektvolle Anerkennung. So ist es keinesfalls aus der Luft gegriffen, wenn Waigel Seehofer als möglichen Stoiber-Nachfolger in Position bringt und maliziös schreibt: „Damit wird die Frage spannend, ob Stoiber oder sein Stellvertreter Seehofer mehr Stimmen erhält.“ Man darf allerdings sicher sein, dass erfahrene Strategen wie StaatskanzleiChef Erwin Huber und Generalsekretär Thomas Goppel hinter den Kulissen bereits eifrig daran arbeiten, dass Seehofer bei den Vorstandswahlen am Samstagnachmittag nicht abhebt.

Mehr Chancen auf die Stoiber-Nachfolge werden innerhalb der CSU allerdings Monika Hohlmeier zugeschrieben. Die bayerische Bildungsministerin wird allerdings als zukünftige „CSU-Bezirksvorsitzende von München eine schwere Herausforderung“ antreten, wie sie Waigel schon jetzt bedauert. Die traditionell liberale bayerische Landeshauptstadt ist seit Jahrzehnten bis auf kurze Episoden hartnäckig CSU-resistent. Auf dem Nürnberger Parteitag darf sich Hohlmeier jedoch noch einmal in der Bildungspolitik profilieren, die einen der Schwerpunkte der Veranstaltung bildet – und wo die CSU das Land Bayern in ihrer Interpretation der Pisa-Ergebnisse ganz vorne sieht.

Neben dem Leitantrag zur Umweltpolitik und zu europapolitischen Positionen (siehe Interview) wird es auf dem Parteitag auch ein Forum zur Zukunft der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik geben. Genau auf diesem Gebiet aber, auf dem Bayern seit langen Jahren hervorragende Zahlen vorweisen kann, hat Theo Waigel seiner Partei den schwersten Brocken hingeworfen: In seinem Artikel warnt er vor schweren Zeiten, nachdem das Privatisierungspotenzial in Bayern ausgeschöpft ist und die Folgekosten ebenjener Privatisierungen nun den Haushalt erheblich belasten werden. Es gab nicht eine Stimme aus der CSU, die Waigels Analyse widersprochen hätte.

Auch Edmund Stoiber nahm den Artikel lediglich „zur Kenntnis“. Der Ministerpräsident wirkte nervös in den vergangenen Tagen. Er weiß, dass er auf sehr hohem Niveau agiert – und das zugleich sein Problem ist. Gerät das Vorzeigeland Bayern in eine wirtschaftliche Misere, beschädigt das seine Möglichkeit, noch einmal als Kanzlerkandidat der Union anzutreten. Doch auch der Parteitag und die bevorstehende Landtagswahl könnten Zeichen setzen: Als Parteivorsitzender gilt es in Nürnberg ein Wahlergebnis von 96,6 Prozent zu toppen, als Ministerpräsident wird Stoiber, ob er will oder nicht, an den gut 58 Prozent für die CSU bei der Bundestagswahl gemessen. Nie war es so wichtig, die Partei als Einheit einzuschwören. Doch der scheinbar glatte Monolith CSU weist eine Menge Risse auf, die an diesem Wochenende in Nürnberg sichtbar werden könnten.