Acht Väter für Nico

Theater, Film und Diskussion über „neue Familienformen“ bei den „Jungen Akteuren“

Nico ist voller Auflehnung und Verzweiflung. „Rosa, die meine Mutter war!“, ruft sie aus. Ihren Vater kennt sie nicht und ihre Mutter reißt sie sich aus dem Herzen – meint sie. Das neue Theaterstück „8 Väter“ von Tina Müller, inszeniert von Tanja Spinger, erzählt von Nicos Aufwachsen in Patchwork-Familien. Aus der Perspektive von Nico heißt das vor allem: wenig Erdung und viel Zerrissenheit.

Drei jugendliche Schauspieler, Jennifer Fesel, Julia Engelmann und Jos Neuhoff, spielen Nico und ihre verschiedenen Aspekte: Wut, Hoffnung, Nachdenklichkeit.

Sie spielen auch alle anderen Rollen – Mutter, Oma, Opa, die neuen Männer, die kleine Schwester, Johnny Cash, den Traummann der Mutter – witzig und präzis, furios und wieder zurückgenommen das ganze Chaos der Gefühle, das kein Happy End hat. Am Samstag gab es ein „Junge-Akteure-Special“ zum Thema „neue Familien“: Film, Diskussion und Theateraufführung. Das Theaterstück „8 Väter“ hatte nämlich einen langen Vorlauf. In einem Ferienprojekt der „Jungen Akteure“ recherchierten Bremer Jugendliche das Leben in den vielen neuen Familienformen. 28 Stunden Video-Interviews kamen zusammen, Ausgangsmaterial für Tina Müllers Stück und einen 30-minütigen Dokumentarfilm von Karl-Heinz Stenz.

Der Film hat drei Kapitel: 1. Patchwork works – zwei Familien erzählen vom Leben mit „meinen, deinen, unseren Kindern“: schwierig, aber möglich; 2. Scheidungsverbot für Eltern mit Kindern: Zwei junge Frauen reden über ihre Sehnsucht nach dem verlorenen Vater, von der Schwierigkeit, den neuen Mann der Mutter anzuerkennen, um ihn dann doch wieder zu verlieren; 3. Ich bin meine eigene Familie: Zwei junge Männer erzählen vom Ausreißen, von Obdachlosigkeit, Gewalt, Drogen und dem Versuch, trotzdem auf die Beine zu kommen. „Meine Eltern“, meint der eine, „haben mich nicht gewollt und weggeschmissen.“

Ein starker Film, hoffnungsvoll, traurig, oft witzig, der viel im Kopf bewegt. Da konnte die folgende Diskussion mit Experten leider nicht mithalten. Die blieb weitestgehend ein Austausch bekannter Positionen zwischen Wunsch nach funktionierenden Wahlverwandtschafts-Familien und kruder Realität: Jede vierte Familie in Deutschland ist eine Ein-Eltern-Familie, fast immer ist die Mutter allein erziehend, 55 Prozent dieser Familien sind dauerhaft auf staatliche Hilfe angewiesen.

Erhellend allerdings die Beteiligung von Jennifer Fesel, Interviewpartnerin im Rechercheprojekt und Schauspielerin im Stück. Sie erzählte sehr bewegend, wie sie heute als junge Frau versucht, ihre Eltern stärker mit Verständnis zu sehen. Um nicht wie Nico in dem Stück sagen zu müssen: Ich, Nico Katz, Kind von Rosa, die meine Mutter ist und der ich nicht entkommen kann. CHRISTINE SPIESS

Brauhauskeller, 28.,30.,31. 1. sowie 4.-7. & 11.- 14. 2., jeweils 19 Uhr