Wo der Berg ruft

18 bunte Bunkermeter für Anfänger und Profis: Der Kilimanschanzo im Park hinter der Roten Flora ist Hamburgs erste öffentliche Kletterwand und ein echter Höhe-Punkt im Viertel

von HANNING VOIGTS

Sonntags haben Spaziergänger Zeit, da bleiben sie stehen, wenn es was zu sehen gibt. Eine regelrechte Menschentraube bildet sich jeden Sonntag hinter der Roten Flora am Schulterblatt, wo erfahrene Kletterer und mutige Anfänger schwindelnde Höhen erklimmen: Der „Kilimanschanzo“ ist Hamburgs erster öffentlicher Kletterberg, und am Sonntagnachmittag darf hier jeder umsonst versuchen, die 18 Meter hohe Wand zu bezwingen.

„Eigentlich ist der Kili ein alter Bunker“, erklärt Jörg Maier. Der 26-jährige Fotoassistent gehört zum „harten Kern“ der Kletter-Aktivisten, die ihre Freizeit für das Projekt opfern. Im Herbst 2001 begannen die Umbauten, und die damals noch lose Gruppe der Kletterfans schraubte in monatelanger Arbeit Griff um Griff an die blanke Wand.

Mitglieder des Schanzen-Graffiti-Vereins „HipHop e. V.“ haben den Bunker zunächst kunstvoll in Farbe getaucht. Doch sprühen darf, wer sich berufen fühlt. An diesem Sonntag arbeitet Nico Hartkopf an einem neuen Schriftzug. Der 16-jährige Amerikaner aus Pittsburgh, Pennsylvania, ist als Austauschschüler in Hamburg. „Toll, dass hier jeder sprayen darf“, findet er. Die Lackfarbe klebt in Augenhöhe zentimeterdick an der Wand, die Bilder wechseln fast täglich.

Kili-Card-Besitzer dürfen auf eigene Faust klettern

Mittlerweile haben sich auch die ersten Kletterer eingefunden. Jason und Mara Sommerfeld sind 16 Jahre alt, Zwillinge und seit zwei Wochen im Besitz einer „Kili-Card“. Die kostet 60 Euro und ist ein Jahr gültig. Wer eine hat, ist sozusagen im Club und darf auf eigene Faust klettern. Deswegen bekommt auch nur eine Karte, wer bereits Erfahrung hat, volljährig ist oder, wie Mara und Jason, eine Erlaubnis der Eltern mitbringt.

„Am Anfang hatte ich echt Schiss“, erinnert sich Mara an ihre ersten Versuche. Inzwischen sind die Zwillinge halbe Profis und wagen sich auch auf schwierigere Routen. An der Wand gibt es Hunderte von Klettergriffen in verschiedenen Farben, die die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade auf dem Weg zum „Gipfel“ markieren. „Seit wir die Kili-Card haben, klettern wir viel“, sagt Jason. Und dann spricht er sich kurz mit seiner Schwester ab, denn die sichert ihn schließlich, wenn er klettert. Klettern kann man nur mit einem Partner, dem man vertraut.

Wer vom Klettern noch keine Ahnung hat, der kommt am besten am Sonntag von 15 bis 17.30 Uhr an den Kilimanschanzo und wendet sich an Felix Christinger. Der 28-jährige Pädagogik-Student leitet mit Niko Plath das Kili-Büro und ist sozusagen Chef am Berg. Er lernt auch die Anfänger an und sorgt mit den anderen Kletterern dafür, dass alle Neulinge gut gesichert sind. „Wir wollen hier keinen Gewinn machen“, sagt er, „es geht uns darum, möglichst viele Leute für das Klettern zu begeistern.“ Mit dem Geld, das die Kili-Cards einbringen, werden in erster Linie die Wartungsarbeiten bezahlt.

Unterdessen öffnet Jörg Maier die zweite Kletterwand für Sabine und Matthias. Eine schwere Stahltür versperrt den Zugriff auf die ersten zwei Meter, erst danach liegen die Kletterhaken frei. Nur wer eine Kili-Card hat, kennt die wöchentlich wechselnden Zahlenkombinationen, mit denen man die Tür öffnen kann. So kommen auf eigene Verantwortung nur Leute an die Wand, die wissen, was sie tun.

Eine Stahltür verschließt die ersten zwei Meter

Der 23-jährige Matthias ist schon oft geklettert. Von seiner Freundin gesichert, besteigt er die 18 Meter gekonnt und in wenigen Minuten. „Super“, strahlt er, als er wieder Boden unter den Füßen hat, „eine tolle Anlage!“ Anfängerin Sabine braucht für ihren ersten Versuch etwas länger. Ihr Freund ruft ihr Tipps zu: „Setz deinen Fuß weiter nach links!“ Zwischendurch will Sabine fast aufgeben. Aber auch sie kommt bis ganz nach oben. „Ein tolles Gefühl“, schwärmt sie, „ich spüre meine Finger gar nicht mehr.“

Bisher haben 70 Leute eine Kili-Card, und auch das offene Klettern am Sonntag ist immer gut besucht. Unter der Woche klettern auch Klassen und Jugendgruppen am Kilimanschanzo. Sozialpädagogen und Therapeuten können den Berg für ihre Schützlinge buchen – Klettern als Erlebnistherapie. Entsprechend ehrgeizig sind die Pläne der Kili-Macher. „Wir wollen weitere Routen anlegen und ein eingetragener Verein werden“, sagt Felix Christinger.

Vincent erkärt derweil seinem Freund Daniel, wie man einen Klettergurt anzieht und wie man sich an der Sicherungsleine festknotet. Er ist schon geklettert, aber noch nie hier. Trotzdem versucht er sich gleich an der schwierigsten Route – und muss sich bald geschlagen geben. Daniel ist Neuling und schafft kaum die ersten Meter. Beide nehmen es sportlich: „Ich werde mir wohl so eine Kili-Karte zulegen“, lacht Vincent. Und während sich vor der Wand immer mehr Zuschauer versammeln, macht er sich an einen neuen Versuch. Der Berg ruft.