Tanz die Redundanz

Alltag in der Ausländerbehörde: Kurze Duldungen, ewige Wartezeiten, abweisende Behandlung. Wer vom „Tor zur Welt“ spricht, war nie hier

Ausländerbehörde, 11.35 Uhr: „Eine Sekunde dauert hier ein Jahr.“

von HANNING VOIGTS

Kahle Wände, fahle Neonbeleuchtung, Plastiksitze: An einem ganz normalen Tag im Juli um 9 Uhr morgens in einem Warteraum der Ausländerbehörde in der Amsinckstraße. Hier sitzen die Menschen, die aus Hamburg abgeschoben werden sollen. Jeder Tag Duldung bedeutet einen zermürbenden Kampf.

Familie Dündan sitzt seit 8 Uhr hier. Mehmet und Atike Dündar sind seit zehn Jahren mit ihren Söhnen Kamil, Cemil und Onur in Deutschland. Seit 1998 musste die Familie über 40 Mal in der Behörde erscheinen.

Psychologische Gutachten legen nahe, dass die Dündars eine Abschiebung nicht überstehen würden. Die Ausländerbehörde bot daraufhin einen gerichtlichen Vergleich an: Im Januar 2002 sollten sich die Dündars noch einmal untersuchen lassen, und bei erneuter Feststellung psychischer Traumata die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Auf die Untersuchung wartet die Familie bis heute. „Es ist hier immer dasselbe“, sagt Kamil. In der letzten Zeit ist die Duldung der Familie oft nur um eine Woche verlängert worden, bis zur nächsten Vorladung.

„Reine Schikane“ vermutet Anne Harms von der Flüchtlings-Hilfsstelle „Fluchtpunkt“ hinter dem Vorgehen der Behörde. „Dündars sollten längst ihren Aufenthaltsstatus haben.“ Als die Familie nach Stunden des Wartens um 10.30 Uhr an die Reihe kommt, werden sie von der zuständigen Mitarbeiterin empfangen: „Sie brauchen sich nicht zu setzen, so lange dauert es nicht.“ Unsicher gruppieren sich Dündars um den Schreibtisch. „Sie sollten sich Pässe besorgen, haben sie das getan?“ – „Nein“, sagt Kamil, der am besten Deutsch spricht, „dazu brauchen wir von Ihnen ein Formular, das hat der Fluchtpunkt Ihnen schon vor Wochen mitgeteilt.“ Das Schreiben ist der Sachbearbeiterin unbekannt. Kamil gibt ihr eine Kopie. Sie liest den Brief und sagt dann: „So ein Formular kann ich nicht ausstellen. Da müsste ich zusichern, dass sie in Deutschland bleiben dürfen.“

Auf die Frage, wie sie an einen Pass kommen sollen, sagt die Beamtin: „Beantragen sie doch einen Pass zur Ausreise. Den bekommen Sie bestimmt.“ Als die Familie nach fünf Minuten Gespräch die Behörde verlässt, ist ihre Duldung bis zum 11. August verlängert worden. „Deutsche Mühlen mahlen langsam“, sagt die Sachbearbeiterin.

Nizamettin Kaya kommt aus Kurdistan und lebt seit 15 Jahren in Hamburg. Er ist psychisch labil und darf nicht abgeschoben werden. Seitdem wird er immer wieder nur geduldet. Er läuft unruhig auf und ab. „Eine Sekunde dauert hier ein Jahr“, sagt er. Mit Abschiebung wird ihm ständig gedroht. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag auf Rechtsschutz aber abgelehnt, „weil ein konkreter Termin für die Abschiebung nicht genannt wurde“. Als Kaya um 12 Uhr nach fünf Stunden zu seiner Sachbearbeiterin gelassen wird, hat die nur einen Stempel für ihn: Verlängerung bis zum 22. Juli. Fünf Tage. Die Akte müsse nochmal eingesehen werden. „Das darf doch alles gar nicht wahr sein!“ Kaya ist den Tränen nahe. In fünf Tagen muss er alles noch einmal durchmachen.

Ein Bild des Jammers bietet Bajazit Planic. Der 32-jährige Serbe wühlt nervös in seinem Bart und schaut immer wieder zur Uhr. Er ist seit 7.30 Uhr hier. Planic ist psychisch so angegriffen, dass er nur mit Begleitung zur Behörde darf. Und trotzdem wird er immer wieder einbestellt, mit kurzen Duldungsfristen gequält. Und auch heute starrt er ungläubig auf seinen Ersatzpass: Bis zum 31. Juli ist er geduldet. Planic hat mit der Hilfe des „Fluchtpunkt“ einen Abschiebeschutzantrag gestellt, gegen den die Behörde Berufung beim Oberlandesgericht eingereicht hat. „Wir haben Anweisung auf kurze Duldungszeiten, bis das Gericht entschieden hat“, sagt der Beamte.

Im Wartesaal wiegt ein bosnisches Mädchen ihre zwei Wochen alte Schwester im Arm, während die Mutter verzweifelt vor einem vierseitigen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung für sich und alle fünf Kinder sitzt. Sie kann nicht einmal richtig Deutsch. Niemand hilft ihr. Alltag in der Ausländerbehörde.