Viel Sonne, aber kein Klosett

Museum für Photographie in Braunschweig zeigt Bilder aus Mexiko von Tina Modotti und Edward Weston

Sensible Künstlerexistenzen seien gewarnt – zuviel Sonne aufs Haupt kann das Bewusstsein verändern: Bekannterweise malte der geniale van Gogh im gleißenden Licht der Provence mit knalligsten Farben – und schnitt sich nebenbei ein Ohr ab. Anders erging es dem Fotografenpärchen Tina Modotti und Edward Weston Anfang der 1920er-Jahre im Extremklima Mexikos: Die beiden revolutionierten im Vollbesitz ihrer Ohrenpaare die Fotografie.

Modotti wurde darüber allerdings überzeugte Kommunistin und schloss sich der revolutionären Bewegung an. Weston flüchtete bald wieder ins gemäßigte Kalifornien und durfte so Bohémien bleiben.

Der Einfluss der mexikanischen Sonne kann jetzt in Braunschweig studiert werden. Das Museum für Photograhie zeigt lichtdurchflutete Bilder von Tina Modotti und Edward Weston – über 80 Abzüge und dokumentarisches Material aus dem Besitz des Sammlers Reinhard Schultz. Weston, ein Mitgründer der so genannten „Straight Photography“, ist der mit Abstand bekanntere der beiden. Der amerikanische Fotograf versuchte in nüchternen Aufnahmen die natürliche Schönheit seiner Bildgegenstände einzufangen. Legendär ist sein Klosett, eine Aufnahme von 1925.

Mexiko wurde zum Wendepunkt seiner Fotografie. Denn dort schärfte er den Blick für Strukturen, Details und starke Schwarz-Weiß-Kontraste. Das zitierte Klosett ist ein typisches Beispiel aus Westons Mexiko-Phase, doch leider fehlt es in der Braunschweiger Ausstellung. Dafür gibt es einige unbekannte Motive zu entdecken: Eine Aufnahme von fünf Palmen, deren Blätter wie Hubschrauberflügel im Wind flattern. Oder das Bild Stadion, das sich ganz auf die Architektur einer lichtüberfluteten Tribüne konzentriert. „Zwei typische Westons“, denkt man. Und stutzt beim Lesen der Beschilderung. Denn Autorin dieser Fotografien ist Tina Modotti.

Tatsächlich stammt höchstens ein Drittel der Werke in der Braunschweiger Ausstellung aus Westons Kamera. Man glaubt es wären mehr, weil Modotti am Anfang ihrer Karriere den Stil ihres Freundes und Lehrmeisters gekonnt nachahmte. „Ich möchte, dass Weston als Ausgangspunkt für Modottis Fotosprache gesehen wird“, sagt Leihgeber Schultz, gibt aber auch zu, dass für eine umfassende Weston-Retrospektive sein Archiv nicht ausgereicht hätte.

Daher die Konzentration auf Modotti, denn da ist der Sammler gut sortiert. Was die Braunschweiger Ausstellung nicht weniger spannend macht: So lässt sich die Entwicklung der italienischen Fotografin verfolgen, die nach ihrem Tod 1942 in Vergessenheit geriet. Man bemerkt, dass sie am Anfang vorwiegend Architekturbilder und surreal anmutende Pflanzenaufnahmen im Stile Westons macht.

Später löst sie sich von seinem Einfluss, die einfache Landbevölkerung findet Eingang in ihre Bilder, ihr politisches Engagement prägt die Aufnahmen: Sie porträtiert Bauernkinder als moderne Helden, fotografiert Landfrauen bei der Arbeit und fabriziert auch gelegentlich Stillleben, deren platte Symbolik unfreiwillige Lacher hervorruft. Das Bild eines Sombreros zusammen mit Hammer und Sichel etwa, es war in den 20ern bitterernst gemeint. Heute lässt es sich kaum ironiefrei betrachten.

Schöner, weil subtiler: Ihr Zyklus der Handporträts, der die Ausstellung beschließt. Dort zeigt Modotti ihr ganzes Können: Die Hände eines Marionettenspielers symbolisieren die soziale Bedeutung menschlicher Arbeit. Die Schatten, die sie werfen und die Fäden, die sie bewegen, bilden ein faszinierendes Strukturengeflecht. Darunter zappelt, surreal-poetisch, die Puppe im weißen Kleid. Da scheint Westons Klosett für einen Moment doch recht langweilig. Tim Ackermann

Tina Modotti/Edward Weston: Mexiko. Museum für Photographie, Braunschweig, Di-Fr 13 bis 18 Uhr, Sa & So 14 bis 18 Uhr. Infos ☎: (05 31) 7 50 00. Bis 11. Juli