lost in lusitanien
: Fellmäntel für Hooligans

MATTI LIESKE über Fußball in portugiesischer Hitze, Trinken am Spielfeldrand und Randale beim Skilanglauf

Warum müssen diese großen Turniere eigentlich immer im Sommer stattfinden? Eine ungünstigere Zeit kann man sich doch kaum vorstellen, zumal wenn in einem südlichen Land wie Portugal gespielt wird. Hier jetzt Fußball zu veranstalten ist mindestens genauso verrückt wie, so hat es John McEnroe mal gesagt, Ende Juni ein Tennisturnier in London abzuhalten, wo es den ganzen Tag Bindfäden, junge Hunde, kleine Kinder und Erdbeeren regnet. Oder ein Radrennen in Frankreich im Juli. Aber die Tour de France wurde ja immerhin von Sadisten erfunden und wird von Masochisten bestritten. Und auf dieser Basis der Freiwilligkeit ist so etwas in unserer heutigen aufgeschlossenen Gesellschaft ja in Ordnung.

Fußballspieler aber sind in erster Linie Memmen, die bei jedem kleinen Stupser in wildes Geheul ausbrechen, vor Schreck zu spucken anfangen, wenn ihnen jemand zu nahe tritt, ständig über die furchtbare Belastung klagen, der sie unterworfen sind – mehr als sechzig Spiele pro Saison, boah! –, und überhaupt ziemlich unglücklich sind, wenn sie nicht gerade vor ihrer Playstation sitzen und dort büffeln, wie man richtig Fußball spielt. Müsste der Fußballprofi das Tagewerk eines Radfahrers verrichten, würde er alle zwei Kilometer vom Drahtesel purzeln, mit einer Trage an den Rand gebracht und dort vom Doktor Müller-Wohlfahrt behandelt.

Entsprechenden Unterhaltungswert haben bisher die Nachmittagsspiele bei dieser EM. Während die Partien am Abend fast alle erfreulich dramatisch, temporeich und engagiert geführt wurden, sieht man bei denen, die Ortszeit 17 Uhr in praller Sonne angepfiffen werden, schon beim Einlaufen: Das wird heute nichts. Manch einer mag glauben, die kleinen Kinder, die die Fußballer an der Hand auf den Rasen begleiten, hätten eine symbolische Funktion – in Wahrheit sollen sie mit stählernem Griff verhindern, dass sich einer absetzt. Wenn angepfiffen ist, tritt sofort die alte Cruyff-These in Kraft, dass der Ball schneller ist als jeder Spieler. Wenn auch in leicht abgewandelter Form: Wenn der Ball läuft, vorzugsweise quer, laufe ich nicht. Spielt jemand steil, wird sofort kräftig gefoult, denn wenn der Kontrahent am Boden liegt, brauche ich ihm ja nicht hinterherzurennen. Die Schiedsrichter sind eingeweiht, sehen großzügig darüber hinweg und belassen es beim Freistoß. Nur bei den Schweizern machen sie sich einen Spaß daraus, sofort gelbe Karten für Fouls zu zeigen, die sie bei David Beckham höchstens mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen und einem „Na, na, was sind wir heute wieder spicy“ quittieren würden. Worauf Beckham glaubt, man habe seine Frau beleidigt, und erst mal eine Viertelstunde schmollt.

Kaum hat das Spiel angefangen, müssen die Spieler unbedingt was trinken. Bei jeder Unterbrechung fällt ihnen plötzlich ein, dass Beine auch zum Laufen da sind, alle flitzen an den Spielfeldrand und lassen sich die gelben Flaschen zuwerfen, die sie aber nicht fangen können – sind ja keine Basketballer. Die Behälter fallen auf den Boden, gehen auf und laufen aus, aber Hauptsache, jeder hat gesehen: „Guckt her, was ich für einen Höllendurst habe, was muss ich doch gerannt sein.“ Man darf sicher sein, dass viele Fouls und Querschläger ins Aus lediglich dem Zweck dienen, Trinkpausen zu ermöglichen. Erstaunlich nur, dass die Uefa keinen Wassersponsor an Land gezogen hat, einen besseren Werbeeffekt als ein dicker Schriftzug auf diesen Trinkflaschen erreicht nicht mal ein tätowierter Boxerrücken. Der hat dafür den Vorteil der sich selbst vernichtenden Negativwerbung. Man sieht ihn nicht mehr, wenn der Träger flachliegt.

Negative Effekte hat das Wetter aber nicht nur auf die Spiele, sondern auch auf die Fans. Jeder weiß doch, was passiert, wenn man Engländer im Sommer nach Albufeira schickt: Sie laufen sofort rot an, und ihr Blutdruck steigt auf zwei Promille. Im norwegischen Winter zum Beispiel wäre das ganz anders. Im Fellmantel, mit Pudelmütze, Schal und Fausthandschuhen randaliert sich’s nämlich erheblich schlechter als mit nacktem Oberkörper und blankem Glatzkopf. Oder hat schon mal jemand gehört, dass britische Hooligans einen 50-km-Skilanglauf aufgemischt haben? Wäre außerdem völlig sinnlos, denn man würde ja im Fernsehen gar nicht die schönen Tätowierungen sehen, wenn die Polizei einen abführt.

Höchste Zeit also, dass der Fußballkalender komplett umgestaltet wird. Alle kontinentalen Meisterschaften finden im Januar statt, wie das die Afrikaner schon vorbildlich antizipiert haben, danach gibt es im Februar, wenn es überall ziemlich grässlich ist, ein paar Wochen Urlaub, der Sommer wird in den Ligen durchgespielt, und zwar abends. Mit Wassersponsor, versteht sich.

MATTI LIESKE