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Die Lachnummer im Hinterzimmer

Trommeln und lügen: Joachim Lottmann verabschiedete sich im Berliner Kurvenstar feierlich von der Popliteratur

Die Popliteratur hat es wahrlich schwer in diesen Tagen. Überall wird ihr Ende verkündet, gefragt oder ungefragt, eloquent oder einfach so in einem Nebensatz, kostet ja nichts, ist ja Konsens. Und dort, wo man sich im Moment eingehend mit ihr beschäftigt, an den Universitäten, mit Poetik-Dozenturen, in Seminaren oder in Büchern wie „Die Neuen Archivisten“ von Moritz Baßler oder „Gerade, eben, jetzt“ von Eckhard Schumacher, arbeitet man ungewollt am Niedergang mit: Einmal an der Uni, nie wieder lebendig, so das Vorurteil.

Noch schwerer aber hat es die arme Popliteratur, wenn sich einer wie Joachim Lottmann, einer ihrer selbst ernannten Väter, anlässlich seines 45. Geburtstags von ihr verabschiedet und das in Form einer „Letzten langen Nacht der Popliteratur“ im Berliner Kurvenstar feiert. Da scheint sie endgültig auf den Hund gekommen, abgestürzt zu einer Hinterzimmer-Lachnummer, und kann sich nicht einmal wehren. Allein die Wahl der Location hat Symbolcharakter: Der Kurvenstar liegt zwar in Mitte, kehrt aber in der Kleinen Präsidentenstraße dem Trubel rund um die Hackeschen Höfe den Rücken zu; und er ist ein Club, der zwar von innen toll siebzigerjahremäßig aussieht, im Berliner Nachtleben aber nur in der zweiten Liga spielt: Essen und Trinken, viel Soul-, HipHop- und Elektronikallerlei, viel kleine Kunst, die dann wie diese Popliteraturnacht im eher muffigen hinteren Stübchen des Clubs stattfindet.

Immerhin hatte Lottmann nichts unversucht gelassen, dem Abend einen Anflug von Glamour zu verleihen. Er steckte der einen Sonntagszeitung, dass Christian Kracht und Thomas Meinecke kommen würden, teilte anderen mit, ausgerechnet Benjamin von Stuckrad-Barre und der Tristesse-Royale-Hasser Feridun Zaimoglu hätten zugesagt, und vergaß nicht, auf seinen eigenen, angeblich im Herbst erscheinenden neuen Roman „Frauen in Freiheit“ hinzuweisen. Alles nach der Devise: Von der Popkultur lernen, heißt trommeln und lügen lernen.

Die Inszenierung jedenfalls stimmt, Lottmann ist ein exzellenter Werber in eigener Sache, doch natürlich ist keiner von den Angekündigten anwesend. So muss man sich an diesem heißen Samstagabend mit dem laut Lottmann „großen“ Wolfgang Herrndorf begnügen, mit Sven Lager, Lottmanns Nichte, dem Zeichner Tex Rubinovitz und der Junglyrikerin Julia Mantel. Auch Kristof Schreuf ist da, von Lottmann als Blumfelds eigentlicher Songschreiber vorgestellt, was aber nichts nützt: Schreuf liest nicht, vom Bachmann-Lesen in Klagenfurt zum Lottmann-Lesen im Kurvenstar geht es ihm wohl zu steil bergab.

Man könnte also sagen: der zweite Anzug. Oder: ein Notprogramm, aus keiner Not geboren. Aber bei einem Abschied ist das auch wieder egal. Hauptsache, es macht Spaß. Lottmann, der ein T-Shirt trägt, auf dem ganz popdialektisch „Erfolgsautor“ steht, hält zuerst seine Abschiedsrede und teilt aus: Goetz, Diederichsen, Kracht, Hennig von Lange, ja, die hätten alle ihre Verdienste, aber auf unterschiedlichste Weise seien sie abgeschmiert. Sein Fazit: kein Leben, keine Gegenwart, nur noch Papier, nur noch Saturiertheit, Erfolg, Leblosigkeit. Lottmann weint Krokodilstränen und schmeißt mit seiner Kritik die Popliteraten und seine Lieblingsfeinde wie Gregor Hens, Christina Griebel oder Klagenfurt kurzerhand in einem Topf. Aber was soll’s? Gibt eben solche und solche Erfolgsautoren. Hauptsache, der Neid spielt keine Rolle, Hauptsache Lottmann-in-Weimar-Schwänke: Tex Rubinovitz trägt Lottmanns Begegnung mit Peter Handke vor (Vorsicht, der Tom Kummer in Lottmann!), schöne Tage werden beschworen, an denen man unbedingt rausgehen muss, oder wie ich, Lottmann, eines Tages auf Jochen Distelmeyer traf. Manchmal großer Scheiß, weil in der Tat lustig, vor allem aber viel kleiner Scheiß, weil eben nur noch Kabarett und untere Bettkante.

So schlimm war es in Klagenfurt gar nicht, denkt man dann irgendwann, und beginnt Rainald Goetz zu verstehen, der in „Abfall für alle“ über Joachim Lottmann schrieb: „Ich hatte Angst vor ihm. Alles spielte auf der Grenzlinie zum Fiktiven, nur Ausgedachten, absichtlich gestört. Alles war gestellt, erfunden, nur erzählt, behauptet, nur zurückgenommen als Lüge. […] Seine Spezialität und sein Interesse war das Erzeugen von zugewendeten Emotionen, durch Vorspielen eigener Gehemmtheit oder durch übertriebenes Ausspielen von Verstörtheit, er spielte sich immer in der Rolle des Verstörten, Unbeholfenen und vergnügte sich an den davon erzeugten Reaktionen, mit denen spielte er dann wirklich. Bei Joachim Lottmann war es das erste Mal, dass ich mir irgendwann dachte: Dieser Mensch ist wirklich böse.“

Vielleicht aber muss man sich um Lottmann sogar Sorgen machen: Er gibt seine Wohnung über dem Kurvenstar auf und verlässt Berlin, und sein Roman liegt bislang lediglich als Manuskript bei Kiwi, Veröffentlichung ungewiss. Rund laufen diese Geschäfte nicht. Er wolle sich, so Lottmann, jetzt mehr den Raumausstattern, Bäckerinnen und Computerfachleuten zuwenden, sozusagen ein Seniorenprogramm auflegen, draußen auf dem Land, in Rostock oder sonstwo. Und den Leuten dort vielleicht etwas von der Popliteratur erzählen. Also Leute, zieht euch warm an! Und: Gute Nacht, Popliteratur!

GERRIT BARTELS

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