Und doch schon sehr frei

Sex, fand Michel Foucault, ist kein Schicksal, sondern „eine Möglichkeit, das Leben zu gestalten“. Das Schwule Museum ehrt den französischen Philosophen, der am 25. Juni 1984 starb, mit einer aufwändigen und sehenswerten Ausstellung

Einmal wurde Foucault wegen einer Denunziantin in Ostberlin verhaftet

VON JÖRG SUNDERMEIER

„Wir müssen nicht entdecken, dass wir Homosexuelle sind“, sagte Michel Foucault knapp zwei Jahre vor seinem Tod in einem Interview. Er war sich zeitlebens seines Schwulseins bewusst. Doch nachdem der einflussreiche, für das politische Frankreich der Siebziger- und Achtzigerjahre extrem bedeutende Philosoph gestorben war, dementierten ein Teil seiner Familie und ein Teil seiner Freunde umgehend, dass er den Folgen von Aids zum Opfer fiel. Diese Kreise versuchten auch, die Homosexualität, die Foucault selbst nie verborgen hielt und die in seinem umfangreichen Werk immer wieder eine Rolle spielte, unter den Tisch zu kehren.

Vergeblich – spätestens seit der Diskussion um Hervé Guiberts Buch „A l’ami qui ne m’a pas sauvé la vie“ („Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“) wussten selbst jene, die des Lesens nicht mächtig sind, dass Foucault schwul war. Guibert, einer der letzten großen Gefährten des Philosophen, protokollierte in diesem Buch das Sterben Foucaults gegen dessen Willen und machte seine Beobachtungen der Öffentlichkeit zugänglich. Doch nicht dass Guivert in einer beinahe anzüglichen Weise, wenngleich nicht lieblos, das Sterben Foucaults – im Buch nannte er ihn Muzil – ausbeutete, war der Skandal. Vielmehr stießen sich einige, denen der berühmte Linksintellektuelle ein Feind war, daran, dass er schwul war.

Das Schwule Museum, das anlässlich des 20. Todestages am 25. Juni in einer sehr aufwändig gestalteten Ausstellung an Foucault erinnert, befasst sich nicht allein mit der Homosexualität Foucaults. Auch wird den Besucherinnen und Besuchern keine dieser unsäglichen Ausstellungen geboten, in denen das Leben des zu Ehrenden der Chronologie folgend ausgestellt, mithin von den Babyfotos bis zur Totenmaske präsentiert wird. Das wäre in einer Biografie viel besser aufgehoben, und auch eine nur die Theorie erklärende Ausstellung führte nicht weit genug.

Selbstredend kommt eine Foucault-Ausstellung nicht um den Text herum. Die Kuratoren lösen diese Aufgabe, indem sie die Wände des ersten Raumes von der Decke bis zum Boden mit Foucault-Statements tapeziert haben, mit solchen, die zu widerständigem Handeln aufrufen, solchen, die philosophische Theoreme anreißen, und solchen, in denen über Sexualität reflektiert wird. Dazu finden sich angenehm wenige Objekte im Raum. Es gibt eine Friedrich-Nietzsche- und eine Karl-Marx-Büste, einen Polizeifotostuhl, der zur Erniedrigung und Erfassung von Delinquenten benutzt wurde, daneben einige von Foucaults bedeutendsten Büchern und eine sehr schöne Installation. Auf einer Säule findet man eine Collage von Sartre-Bildern, die den engagierten Philosophen und Denker zeigen, auf einer anderen Säule lediglich ein schönes, klassisches Foucault-Bild, dutzendfach dupliziert, der Scharfdenker und Glatzkopf als Personenrätsel. Dass beide Klischees nicht stimmen, dass die philosophischen Gegner Sartre und Foucault in politischen Fragen sogar manchmal zusammenarbeiteten, wie etwa bei der Gründung der Tageszeitung Libération, auch das zeigt diese Ausstellung. Seine Beziehungen sind ebenso Thema wie seine Freundschaften zu anderen Intellektuellen, etwa zu Roland Barthes oder zu Louis Althusser, der ihn nach zwei Selbstmordversuchen vor der Anstalt bewahrte und dem wiederum Foucault in der Psychiatrie nicht die Freundschaft versagte.

Ein weiterer Raum zeigt das kulturelle Umfeld, in dem Foucault sich bewegte, anhand von Fotografien und Filmen, dazwischen findet sich Obskures wie etwa ein Spiegel-Beitrag aus dem Jahr 1977, in dem Foucault schildert, was ihm mit deutschen Polizisten in Ost- und Westberlin passiert ist. In Ostberlin wurden er, sein Freund sowie Peter Gente und Heidi Paris vom Merve Verlag verhaftet, da eine Denunziantin in Paris die gesuchte Inge Viett erkannt haben wollte. Daneben hängt ein Protestbrief des Anwaltes Otto Schily, auch das ein denkwürdiges Dokument.

Die philosophischen Gegner Sartre und Foucault konnten politisch Freunde sein

Im dritten, kleinsten Raum schließlich laufen Pornos aus den Siebzigerjahren – merkwürdig schwül und doch schon sehr frei. Sie zeigen, was Foucault, der Intellektuelle, nicht wirklich offen ausleben konnte und was seine Freunde Yves Montand und Simone Signoret nicht störte, die Öffentlichkeit aber, in der Foucault sich engagierte, kaum geduldet hätte.

„Sexualität ist Teil unseres Verhaltens. Sie ist Teil unserer Freiheit. Sexualität ist etwas, was wir selbst schaffen – sie ist unsere eigene Kreation und viel mehr als das Aufdecken einer geheimen Seite unseres Begehrens. Wir müssen verstehen, dass in und durch unsere Begehren hindurch neue Formen von Beziehungen verlaufen, neue Formen der Gestaltung. Sex ist kein Schicksal; es ist eine Möglichkeit das Leben zu gestalten“, sagte Foucault 1982.

Es ist das große Verdienst dieser Ausstellung, den Menschen Michel Foucault, der als akademischer Klassiker ein wenig papiern geworden ist, ins Bewusstsein zurückzuholen. Vielleicht rückt sie auch den engagierten Intellektuellen wieder dahin, wohin er gehört: ins Rampenlicht.

„Michel Foucault: Hommage zum zwanzigsten Todestag“, Schwules Museum, Mehringdamm 61, bis 18. Oktober, tägl. außer Di. 14 bis 18 Uhr, Sa. bis 19 Uhr