Faires Spiel in Mitte

Forschungsarbeiten, Gangsterfilme: Die Filmgalerie Play versucht sich als Forum für Videokunst in Mitte zu etablieren. Deshalb veranstaltet sie bis Ende August ein Festival, das Arbeiten von jungen Künstlern und Künstlerinnen vorstellt

Natürlich macht man sich so seine Gedanken, bevor man es mit einer Kunstgattung aufnimmt, von der man im Grunde nicht viel weiß. Was erwartet einen in einer Galerie für Videokunst? Verspielte Installationen, wie das TV-Cello von Nam June Paik? Oder doch eher experimentelle Kunstqual, bei der man sich ins richtige Kino zurücksehnt?

Ein isländischer Transvestit interviewt seine Mitbewohner. Ein Zeichentrickmädchen stiefelt durch ein Papierhongkong. An einem U-Bahnhof in Tokio fährt alle dreißig Sekunden ein Zug ab. In der Ausstellung „Fair-Play“, die noch bis zum 23. August in der Play Gallery for Still and Motion Pictures in Mitte stattfindet, wird die Sehnsucht nach dem Kino beim Wort genommen: Hier kann man vor einer großen Leindwand sitzen und sich dutzendweise Kunstvideos anschauen. Nur die merkwürdige Form der Sessel, die ein wenig wie Bleistiftspitzer aussehen, erinnert daran, dass man sich in einer Galerie befindet.

Doch trotz komfortablem Kino-Feeling stellt sich das befürchtete Unbehagen ein: Das Play-Kino entpuppt sich als Durchgangsraum, der Ton bleibt oft hängen und auch das Bild will manchmal nicht. Dazu lässt die Auswahl der gezeigten Videos kaum Zusammenhang erkennen und die Arbeiten selbst sind humorlos – obwohl auch in dieses Dunkel der Glanz einiger Perlen dringt.

Der vielleicht etwas allzu bunte Reigen der Videos rührt daher, dass „Fair-Play“ sich eher als Festival denn als Ausstellung versteht. Zunächst stellte eine Kommission in einer Vorauswahl 170 Videos von jungen internationalen Künstlern zusammen, aus denen die Betreiber der Play Galerie, Franco Marinotti und Wolf Günter Thiel, dann zwanzig für ihr Festival nominierten. Vergangene Woche prämierte dann eine international besetzte Jury mit Johannes Maiers „Ex-spectators“ und Cecilia Lundqvists „Absolutely Normal“ die zwei besten Arbeiten. Beiden wird die Produktion einer neuen Arbeit finanziert.

Obwohl im Programm des Festivals von der formalen Forschungsarbeit bis zum Gangsterkurzfilm, von der politischen Kritik bis zur privatesten Selbstbespiegelung alles vertreten ist, lassen sich doch einige Tendenzen erkennen, die möglicherweise für die gegenwärtige Videokunst repräsentativ sind. So fällt auf, dass die meisten der Videos stark erzählerisch angelegt sind und Wert auf stimmungsvolle Szenerien legen, wobei die – oft düster-angstvolle – Stimmung gerne über den Soundtrack erzeugt wird. Entsprechend orientieren sich die Arbeiten eher am Film als an der bildenden Kunst.

Die interessantesten Beiträge sind aber doch die wenigen mit eher experimentellem Charakter. Margaret Salmons „Peggy“ etwa, eine Arbeit zum Thema Alter. Wir sehen eine Greisin, die sich bemüht, ihren Alltag zu besorgen. Dabei singt sie mit brüchiger Stimme das Kirchenlied „Amazing Grace“. Das Video ist in Schwarz-Weiß, was bei dem Thema zunächst Sozialkitsch befürchten lässt; doch das ständig wechselnde Verhältnis von Bild und Ton – mal synchron geführt, dann wieder verschleppt – führt zu beeindruckenden Wirkungen: Mensch und Stimme, Körper und Gedächtnis gehen einander verloren und finden sich wieder. Die wechselnden Einstellungen sind oft merkwürdig dezentriert, doch dann passen sie auf einmal ganz genau: Eine Nahaufnahme wirkt, als hätte Peggy endlich ihren Platz im Fotoalbum gefunden. Eine andere Einstellung, die zeigt, wie sie aus ihrem Haus tritt, lässt die alte Dame in die Fünfzigerjahre zurückfallen, aus denen sie mit ihrer hausfraulichen Betulichkeit schon immer herzukommen scheint.

Auch die konzeptionelle, anfangs etwas nervige Arbeit „Exposure“ der italienischen Videokünstlerin Chiara Pirito entwickelt sich zu einem beeindruckenden Stück. Pirito filmte Autos beim Stopp an der Ampel. Die immergleiche Kameraeinstellung blickt direkt in die Seitenfenster der Autos und zeigt die Reaktionen der Menschen auf dieses Eindringen: mal abweisend, mal beunruhigt. „Exposure“ funktioniert so gut, weil die Arbeit auch den Zuschauer zunehmend beunruhigt: Wer bin ich, wenn ich meinen Blick einer Kamera überlasse?

Zugleich hat Piritos Arbeit einen Nachteil. Sie passt nicht recht in das Konzept der Ausstellungsmacher – „Exposure“ ist nämlich für eine Installation mit vier Monitoren konzipiert, wird aber auf einer Leinwand gezeigt. Es zeigt sich also erneut die problematische Präsentationsform der Ausstellung: während die Themen ungehemmt divergieren, wird die äußere Form vereinheitlicht. Dabei ist es doch gerade das Spiel auch mit der äußeren Form des Mediums, das einen an Nam June Paiks TV-Cello – das wohl auch deshalb jeder kennt – so sehr beeindruckt.

PATRICK BATARILO

Bis 23. August, Mo–Sa 10–20 Uhr, Hannoversche Str. 1, Mitte