Ermittlungserfolg

Nach dem 3:2-Sieg der Tschechen über Holland und einem Match voller Offensivkraft steht fest: Der Unterlegene war gut, der Triumphator besser

AUS AVEIRO RAPHAEL HONIGSTEIN

Der Weg zu den Helden der Nacht führte über einen Parkplatz, er war wie all die anderen Parkplätze der Stadien leider nicht mehr rechtzeitig zu Turnierbeginn fertig gestellt worden. Ein weißes Plastikband, bedruckt mit dem Wort Security, gab die Richtung vor. Das passte nicht recht zum quietschbunten Stadion in der nordportugiesischen Provinz, eher ins Fernseh-Vorabendprogramm: So ähnlich riegelt die Polizei einen Tatort ab.

Täter und Opfer waren im Éstadio Municipal leicht zu identifizieren. Schockgefrostet standen die Spieler Hollands vor den Mikrofonen. Niemand konnte es glauben. Niemand konnte es erklären. „Wir waren auf dem Platz ähnlich überwältigt wie die Zuschauer im Stadion“, gab Giovanni van Bronckhorst zu Protokoll. Die Tschechen hatten seiner Mannschaft den schon sicher geglaubten Sieg mit einer Energieleistung noch aus der Tasche gezogen und einen 3:2-Sieg erspielt, der wohl in die Geschichte des Wettbewerbs eingehen wird. Das Resultat dieses tollkühnen Überfalls lässt sich nicht nur in Punkten messen. Die einen stehen im Viertelfinale, bei den anderen löst sich gerade ein großer Traum auf, der von einer orangefarbenen EM.

„Wir haben einen Schlag gekriegt“, meinte van Bronckhorst, „ich hoffe, dass wir uns davon noch mal erholen können und gegen die Letten am Mittwoch gewinnen.“ Wirklich zuversichtlich klang das nicht. Kommt am Mittwoch das Aus, wird Dick Advocaat wohl ewig erklären müssen, warum er beim Stand von 2:1 in einem Anfall von Trapattoni’schem Kleinmut den alternden Zerstörer Paul Bosvelt für den fröhlich stürmenden Arjen Robben ins Spiel brachte. Überlegungen zu diesem Wechselfehler sind allerdings müßig, genauso wie eine Diskussion um die Auswirkungen einer frühen Führung auf die niederländische Spielerseele. Wer dieses unfassbare Match begreifen will, muss im Grunde nur Folgendes wissen: Die Holländer waren gut, die Tschechen noch viel besser.

In der Mixed Zone merkte man schnell, dass die üblichen Superlative dem Erlebten hinterherhechelten. Zum Glück fand sich mit Tomas Rosicky einer, der es gekonnt formulierte: „Das war heute ein Spiel für alle Fußballfans, nicht nur die von Holland und Tschechien“, sagte Dortmunds Mittelfeldakteur. Früh hatte Trainer Karel Brückner seinen rechten Verteidiger für einen Flügelstürmer heruntergenommen, danach schickte er die Offensivkraft Marek Heinz für einen Mittelfeldspieler auf den Platz. Brückner liebt das bedingungslose Angriffsspiel, der Kollege Advocaat hat ihn deswegen einst einen Sturkopf genannt, der seine Ideen nicht ändern würde. „Vielleicht hatte er ja Recht“, lächelte der grau melierte Mann zufrieden.

Das verwegene Husarenstück hätte aber auch ausgehen können – die Holländer hatten genau wie der Gegner genügend Chancen, um ein ganzes Turnier für sich zu entscheiden. „Nur eine große Mannschaft dreht so ein Spiel noch einmal um“, konnte sich Rosicky freuen. Pavel Nedved, der Beste von allen, nahm mit Banane in der Hand den Pokal für den Spieler des Spiels, aber keine persönlichen Komplimente entgegen. „Wir alle haben heute Großartiges geleistet“, sagte er. Seine Kameraden, Kicker wie Poborsky, Koller, Ujfalusi, Rosicky oder die Liverpooler Ergänzungsspieler Baros und Smicer, gehören, jeder für sich, nur der gehobenen Mittelklasse an, erst in Brückners Kollektiv entwickeln sie Glanz und respektable Fähigkeiten; eine bessere Mannschaft hat man in Portugal noch nicht gesehen.

„Es macht einfach Spaß“, meinte Rosicky. Nur als das Wort Dortmund fiel, verdüsterte sich seine Miene. Es sei doch längst bekannt, dass er zu „einer großen Gruppe“ – gemeint war ein Spitzenverein – wechseln wolle, druckste er herum. Ihn wird man voraussichtlich am Mittwoch auf dem Rasen vermissen, wie andere Leistungsträger dürfte ihn Brückner für das Viertelfinale schonen. Nedved ließ durchblicken, dass er das für die Deutschen entscheidende Match wohl auf der Bank erleben würde, Altmeister Poborsky verabschiedete sich gar in den Kurzurlaub: „Die nächsten Tage werde ich mich auf dem Golfplatz erholen.“ Dort werden ihm die Uefa-Kommissare Gesellschaft leisten, denn nach dem letzten Spiel in der Arena zu Aveiro können sie das Plastikband am Tatort wieder einrollen – was die EM angeht, sind die Hauptverdächtigen ermittelt.