lost in lusitanien
: Uneingeschränkter Konsum

MATTI LIESKE über den Bierwucher in Portugal und einen umgerissenen Grill voller Sardinen

„Wir möchten hier Gäste, die Geld, Geschmack und Erziehung besitzen“, sagt der Betreiber eines der gediegenen Etablissements an den Docks von Lissabon, dort, wo auch die Yacht des Ölmilliardärs und FC-Chelsea-Besitzers Roman Abramowitsch ankert. Der wäre wahrscheinlich – nicht zuletzt wegen der primär genannten Eigenschaft – willkommen in den Restaurants, Bars und Diskotheken jener Zone. Den gemeinen Fußballfan trifft die Beschreibung eher nicht, zumal der Barbesitzer noch deutlicher wird: „Wir wollen adrette Leute, keine enormen, muskulösen Kerle, die mit Tätowierungen übersät sind und literweise Bier in sich hineinschütten.“ Große Furcht muss der gute Mann nicht haben, dass sein nobler Laden das Flair einer Liverpooler Hafenbar oder Neuköllner Kameltränke übergestülpt bekommt, denn der von ihm angesprochene Gästetyp vergnügt sich vorzugsweise im Stadtzentrum, wenn er nicht gerade an den Stränden außerhalb von Lissabon oder an der Algarve sein Wesen treibt.

Im Badeort Cascais hat man sich entsprechend vorbereitet. Metallrollläden, Überwachungskameras, private Sicherheitsdienste sollen Übles verhindern, was bisher auch weitgehend funktioniert hat, Bier wird meist nur in Plastikbechern ausgeschenkt. Man hat schließlich langjährige Erfahrung mit Touristen. „Auch ohne Fußball trinken die Ausländer immer zu viel und dann machen sie Ärger“, lautet das ziemlich einhellige, wenig schmeichelhafte Verdikt über Europas Restbevölkerung. Der Wunsch, möglichst viel durch die Europameisterschaft zu verdienen, und die Furcht, sich Probleme einzuhandeln, stehen im stetigen Wettstreit miteinander. Auf die Aufstellung von Riesenleinwänden haben viele Lokale verzichtet, weil es bei der WM 2002 damit schlechte Erfahrungen gab, auch die Sondergenehmigung zu verlängerten Öffnungszeiten nehmen etliche nicht wahr. Vor allem in der „Rua Augusta“ in Lissabon, einer Fußgängerzone zwischen Praça do Comercio und Rossio, die den ausländischen Fans als Hauptanlaufstelle dient, ist schon gegen elf Uhr abends Zapfenstreich. Ein Stück weiter trauen sich ein paar Restaurants, bis zwei Uhr zu öffnen, und da sind es keineswegs nur Ausländer, die durch erhöhten Alkoholkonsum auffallen, wie das tragische Schicksal eines Holzkohlegrills mit prachtvollen Sardinen darauf beweist, der von einem an den Tischen vorbeitorkelnden portugiesischen Jüngling glatt umgerissen wird. Bei den Sardinen handelt es sich zufälligerweise um das Nachtessen einer kleinen, hungrigen Sportjournalistenrunde, die danach bereit ist, jede noch so radikale Petition zur Bekämpfung des Jugendalkoholismus ohne Vorbehalte zu unterschreiben.

In der „Rua Augusta“ sind jetzt wieder Engländertage, also Alarmstufe eins, obwohl die Hysterie, welche die britischen Fußballfans allenthalben auslösen, bisher durch die Zahl der tatsächlich schwerwiegenden Vorfälle kaum gerechtfertigt wird. Die meiste Zeit geben sie sich – lautstark, aber, nun ja, manierlich – dem gesteigerten Bierkonsum hin und zahlen auch friedlich die horrenden Preise. „Die Engländer haben sich nicht beschwert, nur die Portugiesen“, berichtete ein Verkäufer in Coimbra, wo am Tag des Spiels England – Dänemark der Preis für einen Becher Bier auf 4,50 Euro kletterte. Begründet wurde der schamlose Wucher von einem Händler allen Ernstes damit, man habe den extensiven Bierkonsum einschränken wollen. Mission verfehlt, lässt sich da nur sagen, was sich spätestens zeigte, als betrunkene Briten nach dem 3:0 von einer Brücke in den strömungsreichen Mondego-Fluss hüpften, obwohl einige nur sehr rudimentär schwimmen konnten. Soweit bekannt, sind alle trotzdem wieder an Land gelangt.

Als große EM-Gewinner stehen in jedem Fall die Brauereien fest, besonders das dänische Unternehmen Carlsberg, das sich die Rechte als offizieller Biersponsor der Europameisterschaften von 1988 bis 2008 gesichert hat und sich während dieses heißesten aller Turniere eine fünfzigprozentige Umsatzsteigerung verspricht. Carlsberg ist praktischerweise auch Sponsor des englischen Teams, die Konkurrenten haben es da schwer. Die größte portugiesische Brauerei, Sagres, ist zwar Sponsor der heimischen Mannschaft, muss aber ebenso wie das Heineken der Niederländer allen offiziellen EM-Orten fernbleiben. Sagres ist zwar mit Bierständen in den Städten vertreten, wird aber auch dort durch Carlsberg weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Selbst der kleine Minimarkt am Largo da Graça in Lissabons Altstadt Alfama hat die dänischen Produkte mit der Fußballprägung auf der Flasche in den Vordergrund gerückt. Heinekens Versuch, sich per „Ambush-Marketing“ ins rechte Bild zu rücken, wird ebenfalls vereitelt. Die holländischen Fans bekommen ihre Heineken-Flüstertüten und -Hütchen vor dem Betreten der Stadien rigoros von Ordnern abgeknöpft.

Englischen wie deutschen Fans, die sich in Lissabon die Kehlen für ihre letzten Vorrundenmatches ölen, ist der Bierkrieg völlig egal. Hauptsache, der Nachschub rollt. Und während manch einer in Portugal drei Kreuze schlagen würde, wenn das Team der Beckhams und Rooneys ausscheiden sollte, darf man davon ausgehen, dass in der Kopenhagener Carlsberg-Zentrale kräftig angestoßen würde, wenn es die Briten morgen ins Viertelfinale schaffen. Vielleicht sogar mit einem Heineken.

MATTI LIESKE