Dank Ullrich will auch Bianchi wieder in Mode kommen

Für den italienischen Traditions-Fahrradhersteller kommen die Erfolge des sommersprossigen Ex-Merdingers gerade zur rechten Zeit

LOUDENVILLE taz ■ Jacques Hanegraaf ist von Jan Ullrichs Vorstellung bei der Tour de France nicht sonderlich überrascht. Schon im vergangenen November, so der belgische Sportvermarkter, habe er während der Präsentation des damaligen Teams Coast bei dem Deutschen eine „Ruhe und Entschlossenheit“ wie nie zuvor erlebt. Deshalb hat Hanegraaf auch nicht gezögert, die Konkursmasse von Coast an sich zu nehmen, als fünf Monate später die Zahlungsunfähigkeit des Essener Teams amtlich war: „Wir wollten um jeden Preis die Karriere von Jan Ullrich retten“, sagt Hanegraaf, der zusammen mit Ullrichs engstem Vertrauten, Rudy Pevenage, in Holland die Firma Cycle BV betreibt. Um das zu tun, stellte Cycle BV Ullrich und allen Fahrern des ehemaligen Teams Coast, die nicht mitten in der Saison zu einer anderen Mannschaft wechseln konnten oder wollten, Verträge aus.

Bis allerdings Bianchi als Sponsor feststand, vergingen auch für Hanegraaf angespannte Wochen. Ein Radprofi-Team ist kein billiges Unternehmen, die Mannschaft von Lance Armstrong beispielsweise kostet 19 Millionen Dollar pro Jahr. In diesen Regionen befindet sich Bianchi in diesem Jahr freilich noch nicht. „Wir mussten alle zurückstecken“, verrät Tobias Steinhauser, der gemeinsam mit Ullrich von Coast zu Bianchi wechselte. „Wenn wir 19 Millionen hätten“, prahlt derweil Hanegraaf gar, „würden wir bei der Tour die ersten drei Plätze belegen.“

19 Millionen kann die traditionsreiche Fahrradfirma aus Norditalien nicht ausgeben. Wie auch? Die Marke Bianchi macht gerade einmal 40 Millionen Euro Jahresumsatz – und damit so- gar weniger als weiland der Team-Coast-Gründer Günther Dahms mit seinen Jeansläden. Nun ist Jacques Hanegraaf zwar ein Enthusiast, ein Abenteurer wie Dahms ist er jedoch nicht. Mit einem Unternehmen, das die Hälfte seines Umsatzes in Sportsponsoring steckt, hätte er jedenfalls keine Geschäfte gemacht.

Das musste er auch nicht, denn Bianchi gehört zu dem Firmenkonglomerat Cycleurope, das seinen Hauptsitz in Stockholm hat. Inhaber ist das Familienunternehmen Grimaldi Industries. Und die Grimaldis sind Italo-Schweden, die mit skandinavischen Fahrradmarken ihr Vermögen gemacht haben. Im Zuge der europaweiten Expansion des Unternehmens kauften die Grimaldis vor etwa 10 Jahren das französische Unternehmen Cycleurope auf, das dem Konzern unter anderem die französischen Marken Peugeot und Lignan hinzufügte. Die Traditionsmarke Bianchi kam später hinzu, hat in der Zwischenzeit allerdings, wie viele italienische Traditionsmarken, gegenüber massiv auf den europäischen Markt drängenden amerikanische Marken deutlich an Boden verloren. Die amerikanischen Räder kommen jünger und peppiger daher und wurden zudem von Superstars wie Mario Cipollini oder Lance Armstrong beworben.

Deshalb war es für Hanegraaf nicht sonderlich schwer, Bianchi davon zu überzeugen, Jan Ullrichs Team zu übernehmen. „Wir wollen eine neue Brand-Awareness für Bianchi erzeugen“, erklärt Hanegraaf seine Strategie in besten Marketingneudeutsch. Soll heißen: Die Kombination der großen Radsporttradition mit der Dynamik des neuen Jan Ullrich soll’s bringen. Für Bianchi, so sehen es Szenekenner, ist es ein letzter Versuch, seinen Ruf aufzumöbeln – und im Konzert der Großen weiterhin mitspielen zu können.

Immerhin: So schnell wie Dahms und Coast dürfte Cycleurope die Luft nicht ausgehen. Aktuelle Umsatzzahlen gibt der Konzern zwar nicht bekannt, aber eine Statistik aus dem Jahr 1999 weist einen Umsatz von 291 Millionen Euro aus. Das ist schon eine andere Hausnummer als die etwa 50 Millionen aus Dahms’ Boutiquen oder die 40 Millionen, die bei Bianchi aus dem Verkauf der Edelrennräder im charakteristischen Celeste-Grün durch die Kassen laufen. Um auf Dauer ein Weltspitzenteam aufzubauen und das Personal angemessen zu bezahlen, reicht allerdings das jetzige Budget des Bianchi-Teams nicht aus. Alle Angestellten, radelnd oder nicht, geben sich für diese Saison, der Not gehorchend, mit massiven Lohnkürzungen zufrieden. Im Herbst, nach der Tour, soll das, auch dank Ullrichs überzeugender Leistung, besser werden. Einen großen deutschen Sponsor mit Prestige wünscht sich Hanegraaf ins Boot, zusätzlich zu Bianchi. Die Chancen dafür stehen derzeit nicht schlecht. Hanegraaf: „Bis zur Tour wusste doch keiner, was das ist, das Team Bianchi. Spätestens seit dem Mannschaftszeitfahren aber reden alle über uns.“

Und sollte Ullrich die Tour tatsächlich gewinnen, muss sich Hanegraaf schon gleich gar keine Sorgen mehr machen. Spätestens dann werden auch Bianchi-Räder wieder groß in Mode kommen. SEBASTIAN MOLL