Richter über Tony Blairs Schicksal

Der konservative Lordrichter Brian Hutton aus Nordirland soll die Untersuchung des Falls Kelly übernehmen

Nun soll er die Wahrheit herausfinden. Lordrichter Brian Hutton ist von der britischen Regierung mit der Untersuchung der Umstände des Todes von David Kelly beauftragt worden. Der 59-jährige Mikrobiologe Kelly hatte sich am Freitag das Leben genommen. Er war der Hauptinformant für einen umstrittenen BBC-Bericht Ende Mai, in dem die Regierung beschuldigt worden war, in einem Regierungsdossier vom vorigen September die vom Irak ausgehende Gefahr zu übertreiben.

Hutton will seine Untersuchung, die noch in dieser Woche beginnt, „überwiegend öffentlich“ abhalten, sagte er gestern. Der 72-jährige Nordire studierte Jura in Oxford und kehrte nach seinem Studienabschluss nach Nordirland zurück, wo er ab 1954 als Anwalt arbeitete. Anfang der Siebzigerjahre war er Berater der nordirischen Regionalregierung, die in der Krisenprovinz eine Art Apartheidregime errichtete. Katholiken waren von der Regierung ausgeschlossen, bis Ende der Sechzigerjahre hatten sie bei Kommunalwahlen nicht mal Wahlrecht. 1979 wurde Hutton als Richter an den Belfaster High Court berufen. Von 1988 bis 1996 war er höchster nordirischer Richter, ein Jahr später ernannte ihn die Londoner Regierung zum Lordrichter.

Von den zwölf höchsten britischen Richtern ist Hutton einer der konservativsten. Während des Oberhausprozesses um die Auslieferung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet vor vier Jahren kritisierte Hutton seinen Kollegen Lordrichter Hoffman scharf, weil der es versäumt hatte, seine Verbindungen zu amnesty international offen zu legen. Der Prozess hatte damals weltweit Aufsehen erregt.

Bei der Untersuchung der Todesumstände von David Kelly steht Hutton noch stärker im Rampenlicht. Er soll Antworten auf viele offene Fragen finden: War Kelly die einzige Quelle der BBC? Hat der BBC-Reporter Kellys Informationen aufgebauscht, wie der Wissenschaftler vorige Woche vor dem Untersuchungsausschuss nahe legte? Hat Blairs Kommunikationschef Alastair Campbell Druck auf das Verteidigungsministerium ausgeübt, mit allen Mitteln die Quelle des BBC-Berichts herauszufinden? Wurde Kelly während des dreitägigen Verhörs von Beamten des Verteidigungsministeriums bedroht? Wer hat Kellys Namen am 9. Juli an die Medien weitergegeben? Hat die BBC richtig gehandelt, ihre Quelle bis zuletzt zu schützen? Hat das Verteidigungsministerium Kelly im Stich gelassen und den Medien ausgeliefert, wie Kelly nach seinem Verhör vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor einer Woche andeutete?

Hutton sagte gestern: „Ich werde allein entscheiden, welche Dinge untersucht werden.“ Davon hängt viel für Premierminister Tony Blair ab. Er hat zwar seine Bereitschaft erklärt, vor dem Richter auszusagen, und auch Verteidigungsminister Geoff Hoon versprach die „volle Kooperation der Regierung“, doch legte man Hutton gleichzeitig nahe, sich nicht mit den Begründungen für den Irakkrieg zu beschäftigen. Dieser Spagat ist nicht zu schaffen. Ohne den Wahrheitsgehalt der Regierungsdossiers zum Irak und damit die Begründungen für den Krieg zu überprüfen, wird diese Untersuchung mit einem Persilschein enden, so ist zu befürchten. In sechs Wochen wird das Ergebnis vorliegen. RALF SOTSCHECK