Angst vor dem Statistikschock

Weil das neue Arbeitslosengeld II die Erwerbslosenstatistik automatisch aufbläht, will die Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigungsmaßnahmen ausbauen. Aufstockung um hunderttausende von Maßnahmen geplant – zum Billigtarif

VON BARBARA DRIBBUSCH

Sie stellen in Leihbibliotheken Bücher in die Regale zurück, pflanzen Sträucher in Parks oder geben Daten der öffentlichen Verwaltung in Computer ein: Langzeitarbeitslose sind derzeit schon zu hunderttausenden in Jobmaßnahmen beschäftigt. Dieser „zweite Arbeitsmarkt“ soll jetzt weiter ausgebaut werden, denn die rot-grüne Bundesregierung befürchtet, dass mit dem Arbeitslosengeld II die Erwerbslosenzahlen in die Höhe schnellen werden.

Man wolle versuchen, möglichst vielen Langzeitarbeitslosen ein Jobangebot oder eine öffentlich geförderte Maßnahme zu unterbreiten, sagte gestern eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Der Spiegel hatte berichtet, die Zahl der kommunalen Beschäftigungsmaßnahmen sollte von derzeit rund 390.000 auf 730.000 aufgestockt werden.

Damit rückt die rot-grüne Bundesregierung von ihrer bisherigen Politik ab, den so genannten „zweiten Arbeitsmarkt“ möglichst nicht weiter auszubauen, sondern vorrangig auf die Vermittlung der Joblosen in die Privatwirtschaft zu setzen.

Doch nun fürchtet man, dass ab Januar hunderttausende von Sozialhilfeempfängern neu in der Arbeitslosenstatistik auftauchen und die Zahlen nach oben treiben könnten. Bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II müssen sich nämlich alle Sozialhilfeempfänger arbeitslos melden, die in der Lage sind, mindestens drei Stunden am Tag zu arbeiten. Bisher sind tausende von SozialhilfeempfängerInnen, die etwa kleine Kinder betreuen oder gesundheitlich beeinträchtigt sind, nicht beim Arbeitsamt gemeldet.

Der Wirtschaftsexperte Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hat bereits davor gewarnt, dass ab Januar 2005 rund 300.000 bis 400.000 SozialhilfeempfängerInnen neu in der Arbeitslosenstatistik auftauchen könnten.

Die Städte und Gemeinden haben ein Interesse daran, dass möglichst viele der jetzigen Sozialhilfeempfänger künftig als arbeitsfähig gelten, weil sie dann nicht mehr für deren Finanzierung zuständig sind. Damit aber wird die Arbeitslosenstatistik weiter aufgebläht und die Arbeitslosenzahlen könnten in einem ungünstigen Wintermonat gefährlich nahe an die Fünf-Millionen-Grenze geraten.

Werden neue Beschäftigungsmaßnahmen eingerichtet, so dürfte die Bezahlung aber eher mager ausfallen. Bisher schon verdienen ABM-Beschäftigte, die keine abgeschlossene Ausbildung haben, in Berlin beispielsweise bei einer 40-Stunden-Woche nur 900 Euro brutto im Monat. Auch nach den bisher bekannt gewordenen Plänen sollen die geförderten Jobber nur wenig mehr verdienen, als sie an Arbeitslosengeld II bekämen.