Den Haags erster Angeklagter

Kongos früherer Milizenführer Thomas Lubanga muss sich seit Montag vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten – aber nur wegen eines Teils der ihm angelasteten Verbrechen FOTO: REUTERS

Gerade einmal neun Jahre alt sollen die Jüngsten der mit Macheten und Kalaschnikows ausgerüsteten Kämpfer gewesen sein, die Thomas Lubanga 2002 und 2003 für seine gefürchtete Miliz, die Union Kongolesischer Patrioten (UPC), einspannte. Seit Montag muss sich der 48-Jährige deshalb als erster Angeklagter überhaupt vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. „Lubangas Miliz hat hunderte Kinder rekrutiert und dann zum Töten, Vergewaltigen und Plündern ausgebildet“, so Chefankläger Luis Moreno Ocampo zum Prozessauftakt. „Unter den Folgen leiden die Kinder noch heute.“ Den Familien in den von ihm kontrollierten Sektoren der Ituri-Region im Nordosten Kongos setzte Lubanga Ultimaten: Wer überleben wollte, so die Anklage, musste Lubangas Miliz mit einer Kuh, mit Geld oder einem Sohn unterstützen. In den kommenden Monaten sollen 34 Opfer die Vorwürfe bezeugen.

Doch wer die Menschen in Ituri nach Thomas Lubanga fragt, bekommt viel Schlimmeres zu hören. Ein zynischer Sadist sei der ethnische Hema gewesen, der fast immer unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol gestanden habe. Lubanga habe Massenhinrichtungen oder Massaker angeordnet, bei denen Hunderte mit Vorschlaghämmern erschlagen oder mit Macheten in Stücke geschnitten worden seien. Anfang 2003 brannten seine Horden in nur zwei Wochen 26 Dörfer in Mongbwalu nieder, einer Region mit zahlreichen Goldminen. Mindestens 350 Bewohner wurden ermordet, mehr als 60.000 flohen. Die meisten Opfer gehörten zur Ethnie der Lendu, deren Verfolgung Ziel Lubangas war. Mit Hasstiraden gegen die Lendu sicherte Lubanga sich die Unterstützung vieler Hema, denn über knappes Land war es zwischen den beiden Ethnien immer wieder zu Konflikten gekommen.

Ethnische Massaker, Mord, Folter, Vergewaltigungen und Verstümmelungen wirft die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Lubanga vor. Doch in Den Haag spielen diese Taten keine Rolle, weil sie juristisch schwer nachzuweisen sind. Forderungen, die Anklage gegen Lubanga auszuweiten und auch seine Hintermänner anzuklagen, blieben folgenlos.

Die reichen Goldvorkommen der Region waren der Hauptgrund für die blutigen Kämpfe in Ituri, an denen zeitweise sechs Milizengruppen beteiligt waren. Mit dem Ende des Kongokriegs 2003 begann Lubangas Niedergang: Ugandische Truppen verjagten ihn aus Bunia. Sein Versuch, die UPC als Partei zu registrieren, scheiterte zunächst. Im März 2005 wurde Lubanga festgenommen und wenig später nach Den Haag ausgeliefert. Jetzt droht dem Vater von sieben Kindern eine lebenslange Haftstrafe. MARC ENGELHARDT