Spaß am Kabbalistischen

„Mir wäre es lieb, wenn sich das Bürgertum verkrümeln würde“: Ein Gespräch mit Claude Chabrol über seinen jüngsten Film „Die Blume des Bösen“

Interview: KIRA TASZMAN

Kein Jahr scheint zu vergehen, ohne dass Claude Chabrol eines seiner bitterbösen Gesellschaftsdramen vorlegt. Mit Die Blume des Bösen nimmt der mittlerweile 73-jährige Regisseur, Drehbuchautor, gelegentliche Schauspieler und regelmäßig als Mitgründer der Nouvelle vague Bezeichnete sein vielleicht liebstes Feindbild aufs Korn, wenn er – einmal mehr – die vertuschten Geheimnisse und schwelenden Konflikte einer großbürgerlichen Familie kulminieren lässt.

taz hamburg: Was würden Sie Kritikern sagen, die Ihnen vorwerfen, dass sich Ihre Filme in den letzten Jahren überhaupt nicht verändert haben?

Claude Chabrol: Meine Filme sind schon unterschiedlich. Dass ich immer dieselben Probleme schildere, hat damit zu tun, dass sie gleich geblieben sind. Trotz meiner Bemühungen habe ich es nicht geschafft, die Welt zu verändern (lacht).

Glauben Sie denn, dass sich Ihr Stil verändert hat?

Ich habe mich natürlich entwickelt. Es wäre seltsam, wenn man sich in 40 Jahren und 50 Filmen nicht verändert hätte und nicht handwerklich geschickter geworden wäre. Wenn ich mir einige meiner alten Filme angucke, die ich früher gut gemacht fand, sehe ich darin viel mehr Fehler als früher. Aber es gibt keine billige Effekthascherei, weil mir das nicht gefällt. Meine Filme sind heute viel geheimnisvoller. Es macht mir heute Spaß, quasi kabbalistische, unverständliche Dinge zu erfinden.

Wird es denn mal einen Chabrol-Film ohne einen Mord geben?

Die hat es schon gegeben und wird es auch weiterhin geben. Aber ich mag Leichen. Das interessiert die Leute. Sie haben nicht den Eindruck, ihre Zeit zu verschwenden, wenn sie jemanden im Film haben sterben sehen, vor allem einen gewaltsamen Tod. Warum, weiß ich nicht.

Haben Sie für die Figuren der Politiker in Die Blume des Bösen, die von Nathalie Baye und Ihrem Sohn, Thomas Chabrol, gespielt werden, reale Vorbilder?

Für die Figur von Nathalie Baye haben wir vor allem darauf geachtet, wie Politikerinnen sich kleiden. Also das Kostüm, die Bluse. Unsere Verteidigungsministerin Michèle Allieu-Marie wäre ein gutes Beispiel dafür. Für Thomas gab es ein Vorbild, der heute auch Minister ist, Dutreil, aber nicht zu Drehzeiten. Der sieht ihm zum Verwechseln ähnlich. Er hat leuchtende Augen und ein starres Lächeln. Eine wirklich erschreckende Figur. Das sind aber nur Vorbilder, wir wollten die wirklichen Politiker nicht lächerlich machen.

Würden Sie sich selbst als Misanthropen bezeichnen?

Nein, ganz bestimmt nicht.

Aber es gibt nie gute Menschen in Ihren Filmen.

Ist denn Tante Line in Die Blume des Bösen kein guter Mensch? Jetzt machen Sie mir aber Angst!

Sie hat vielleicht einen Menschen getötet.

Fällen Sie ein Urteil über sie? Sind Sie selbst denn gut? Da muss man vorsichtig sein. Da sind wir am Kern des Problems angelangt.

In allen Ihren Filmen zeigen Sie eine makellose Fassade, aber dahinter bröckelt es.

Das ist ein gesellschaftliches Problem. An der Oberfläche sind die Gesellschaften akzeptabel und in der Tiefe nicht. Wir können ja nicht jeden Morgen eine Revolution starten. Also erzählt man die Scheußlichkeiten, die man sieht. Scheißfreundlichkeit ist ein Begriff, den ich diesbezüglich gerne verwende.

Warum sind Männer in Ihren Filmen immer Dreckskerle und Feiglinge?

Der Mann ist feige oder heldenhaft. Aber im alltäglichen Leben sind Männer sehr selten heldenhaft. Das sind sie nur unter außergewöhnlichen Umständen. Ich erzähle viel öfter von Frauen als von Männern, weil der Alltag eher weiblich ist.

Ihr nächster Film spielt nicht im bourgeoisen Milieu. Haben Sie die Nase voll vom Bürgertum?

Nein, überhaupt nicht! Mir wäre es zwar lieb, wenn sich das Bürgertum verkrümeln würde. Mein nächstes Sujet berücksichtigt das Bürgertum, handelt aber von denen, die nicht bürgerlich sind. Manchmal muss man auch beobachten, was anderen angetan wird.

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