Klartext im Tower

Azad und sein Publikum. Oder: Der Rhythmus des Fäkalen

Bremen kühlt sich im Gewitterschauer ab, als sich eine überschaubare aber begeisterungsfähige Menge im immer noch schwülen Tower versammelt, um auf den Auftritt von Azad und seinen Homies „Jonestown und die Warheit“ zu warten.

Hört man eine Azad-Platte, erwartet man jemanden, der sich in der Pose des ganz harten Mackers am wohlsten fühlt. Der Mensch auf der Tower-Bühne macht aber einen komplett anderen Eindruck. Sehr sympathisch und relaxt bremst er sogar seinen Rapper Sezai aus, als dieser in typischer Manier mehr Jubel vom Publikum fordert.

Der größte Teil von Azads Repertoire besteht aus „Battle Raps“, die sich durch eine betont krasse Sprache auszeichnen. Alles andere kündigt Azad gesondert an, was manchmal fast wie eine Entschuldigung wirkt. Bei textlich tiefer gehenden Raps kommt die Aufforderung, genau hinzuhören, „Fickt euch“ wiederum wird zum Motivationstraining: „Denkt an eine Sache, die euch besonders anpisst.“

Eine Funktion der expliziten Sprache für das überwiegend männliche, adoleszente Publikum wird an diesem Abend besonders deutlich: Selbstermächtigung durch sexualisierte Beschimpfungen. Ein Teil der Leute wirkt wie hineingesteckt in ihre HipHop-Kluft. Leicht unbeholfen haben sie auf den Beginn des Konzerts gewartet – bei der ersten Schimpfkanonade blühen sie dann richtig auf.

Vorherige Generationen holten sich ihre Dosis Stärke aus den Macho-Posen des Heavy Metal oder der Superhelden-Comics. Bei Azads Konzert erfüllt das ritualisierte Beschimpfen des imaginiären oder realen Gegners die gleiche Funktion. Nicht umsonst kreisen viele seiner Raps um Schmerz und „mentale Krisen“. Gleichzeitig schöpft er eine kunstvolle sprachliche Rhythmik aus den Kraftausdrücken: den individuellen Flow des Raps.

Dieter Wiene