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: Der kühle Blick vom Riesenrad

„Die Männer vom Riesenrad“ (23 Uhr, ARD)

Kinderaugen leuchten noch immer, und das Staunen ist nur schwer in Worte zu fassen. Das ist in der Gondel des „Bellevue“ in Münster nicht anders als in Essen oder Hannover: Hoch über der Stadt im nächtlichen Himmel das Rathaus zu entdecken, während die Welt darunter so klein und überschaubar wirkt.

Die Faszination des Riesenrads scheint ungebrochen, auch auf der Kirmes unserer Tage mit weit moderneren Fahrgeschäften ist der Klassiker der sanften, mählichen Fortbewegung als Attraktion nicht wegzudenken.

Die Familie Bruch ist seit 1848 im Schaustellergewerbe und betreibt nunmehr in der vierten Generation das Geschäft mit der Illusion von Schwerelosigkeit. Dass die Arbeit hinter der Herstellungen von Magie und Träumen viel Logistik und ein eingespieltes Team erfordern, weiß auch Clan-Chef Oscar. Denn wer sich auf den Knochenjob mit ständigen Ortwechseln einlässt, hat kaum Zeit für feste Beziehungen und langfristige Pläne. Gelebt wird, jenseits aller lieb gewonnenen Klischees, mit bescheidenem Salär auf engstem Raum in Wohnwagen.

Wie der Alltag hinter den bunten Lichtern aussieht, hat Hilde Bechert in „Auf Reise – die Männer vom Riesenrad“ für den SWR mit der Kamera eingefangen. Über drei Monate hat sie die Crew um Oscar Bruch begleitet und die Stimmung unter der deutsch-polnischen Belegschaft ausgelotet. Entstanden ist daraus eine ansehnliche Langzeitbeobachtung, die nüchtern die persönlichen Motive von Beschäftigten erkundet, die ihre Karrieren mal als Schweißer und Schlosser oder angehende Veterinäre und Betriebswirte in Angriff genommen haben.

Spätestens wenn der polnische Teil der Crew in seiner spärlichen Freizeit beim Bier „auf die Liebe und die deutsche Wirtschaft“ anstößt, wissen wir, dass die Probleme unserer Gesellschaft auch anderen nicht verborgen bleiben.

Das verleiht diesem sehr präzisen Blick in eine raue, melancholische Männerwelt jenen entscheidenden Kontrapunkt, der einer exzellent fotografierten (Gerardo Malsztein) und geschnittenen Dokumentation zusätzliche Sympathien einbringt. RAINER BRAUN