Zuwanderung: Grüne sparen sich Streit

Sonder-Länderrat wurde wieder abgesagt. Auch die kritischen Landesverbände können Zuwanderungskompromiss akzeptieren. Die Themen Migration und Bürgerrechte sollen auf dem nächsten Parteitag im Oktober wieder debattiert werden

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Nach der Europawahl ist viel über die Gründe für das gute Abschneiden der Grünen geschrieben worden. Insbesondere eher konservative Beobachter rieben sich verwundert die Augen. Am Wochenende erst stand in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu lesen, „warum die Grünen so unverschämt erfolgreich sind“. Dies liege daran, hieß es in der Analyse, dass man die unangenehmen Themen wie Wirtschaft, Arbeit und Soziales der SPD überlassen habe, aber auch daran, „dass die Partei – die doch einmal als Club des Dauerstreits gestartet war – heute weithin ‚als die geschlossenste Partei von allen‘ gelte“.

Diese Beschreibung scheint den Grünen gut gefallen zu haben. In der gestrigen Sondersitzung des Parteirats zum Thema Zuwanderung wurde jedenfalls ein weiterer Beleg für die neue Geschlossenheit des kleinen Berliner Koalitionspartners erbracht. Mit nur einer Enthaltung (von der im Oktober aus ihrem Amt scheidenden Vorsitzenden Angelika Beer) akzeptierte der Parteirat, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, die Einigung zum Zuwanderungsgesetz, die Regierung und Opposition letzte Woche erzielt hatten.

„Wir tragen den Kompromiss, weil unter den gegebenen politischen Umständen und im Kompromiss mit der Union nicht mehr zu erreichen war“, heißt es in dem Beschluss des Grünen-Parteirats. Nachdem in den Text einige kritische Bemerkungen über das Gesetz und einige Absichtserklärungen für die Zukunft eingefügt wurden, verzichteten die Landesvorstände von Nordrhein-Westfalen und Brandenburg auf ihre Forderung, einen Sonderländerrat, also einen kleinen Parteitag, einzuberufen.

„Wir würden auf einem Länderrat auch nichts anderes beschließen wollen“, sagte NRW-Landeschef Frithjof Schmidt der taz. Das Anliegen seines Landesverbandes sei eine kritische und ehrliche Bestandsaufnahme durch die obersten Parteigremien gewesen. „Die war bisher noch nicht so eindeutig ausgefallen.“ Nun heißt es unter anderem, das Gesetz enthalte „Licht und Schatten“, einige Regelungen seien komplizierter und bürokratischer geworden, „manches ist auch schlicht misslungen“. Außerdem würden die Themen Migration und Bürgerrechte auf dem nächsten turnusmäßigen Bundesparteitag im Oktober „hoch angesiedelt“, freute sich Schmidt. Zu diesem Zweck werde in der Partei nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

Auch Parteichef Reinhard Bütikofer versprach, „dass wir weitere Aktivitäten ergreifen werden“, damit „das Thema insgesamt nicht liegen bleibt“. In dem Parteirats-Beschluss wird unter anderem angekündigt, dass die Grünen „in der Koalition noch im Herbst die Initiative ergreifen“, um doch noch eine Bleiberechts- oder Altfallregelung für bisher nur „geduldete“ Menschen zu erreichen, die schon lange in Deutschland leben und die bei dem Zuwanderungskompromiss mit der Union nicht berücksichtigt wurden. Ein klares Nein zu dem Gesetz kam nur noch vom Berliner Landesverband.