DER HOCHSOMMER IST VOLKS- UND WELTWIRTSCHAFTLICH NÜTZLICH
: „Sunshine Profit“ für Ost- und Chiemsee

Der Mensch an sich ist träge, bei einer solchen Hitze sogar ganz besonders. Wovon, endlich einmal, die innerdeutschen Feriengebiete profitieren werden. Seit Jahrzehnten haben sie darunter gelitten, dass die Menschen im Sommer dorthin gegangen sind, wo die Sonne scheint, also überall hin, nur nicht nach Deutschland. In diesem Jahr haben Rezession und Terrorangst den heimischen Anbietern hunderttausende neuer Gäste zugeführt – und alle, alle werden von der Sonne verwöhnt. Und viele, die erstmals seit langem wieder deutsche Urlaubsgefilde ausprobierten, werden im kommenden Sommer zurückkommen: Wer eine solche Ostsee haben kann, braucht kein Mittelmeer.

Wir wissen zwar aus langjähriger Erfahrung, dass sich Ost-, Nord- und Chiemsee nicht immer so mediterran gerieren wie in dieser Saison. Aber davor braucht den Hoteliers und Strandkorbvermietern die nächsten paar Jahre nicht bange zu sein. Es wird mindestens zwei völlig verregnete Sommer brauchen, bevor diese abstrakte Erkenntnis sich gegen die konkrete Erinnerung an den Bilderbuchurlaub von 2003 durchsetzen kann. Doch wenn es nicht gar so verregnet kommt, wir also nicht zum üblichen Zustand des durchwachsenen Sommers zurückkehren, kann die Erinnerung an herrlichere Zeiten sogar zu einer dauerhaften Verklärung des Wettergeschehens führen. Der Sommer auf Usedom könnte mit ein bisschen Glück einen ähnlichen Nimbus erlangen wie der Winter auf Mallorca: Der ist schließlich auch bisweilen lausig kalt, feucht und stürmisch, genießt aber den unkaputtbaren Ruf des ewigen Frühlings.

Ein einziger Hochsommer macht zwar noch keine Legende, dank des menschlichen Trägheitsprinzips aber einen zumindest mittelfristigen Aufschwung. Selbst bei Worst-Case-Wetterlagen ist für die kommenden beiden Jahre mit einer positiven Umsatz- und Ertragsentwicklung im deutschen Gastgewerbe zu rechnen. „Windfall Profit“ nennen es die Ökonomen, wenn ohne eigenes Zutun unverhoffte Zusatzeinnahmen entstehen. In diesem Fall sollten wir ihn „Sunshine Profit“ nennen.

Rein volks- und weltwirtschaftlich führt die Hitzewelle damit zu einer äußerst willkommenen Entwicklung: Die Exportstärke der deutschen Industrie hat nachgelassen, und weil der Euro wieder stärker geworden ist, wird der traditionelle deutsche Exportüberschuss weiter zurückgehen. Da passt es hervorragend, wenn auf der anderen Seite das ebenfalls traditionelle Defizit der Dienstleistungsbilanz schrumpft – wer es nicht mehr schafft, Exportweltmeister zu sein, tut gut daran, auch den Titel des Reiseweltmeisters niederzulegen. Und wenn die Sonne so vom Himmel strahlt, tut das nicht einmal weh. DETLEF GÜRTLER