village voice
: Dringlichkeit besteht immer: Neues aus Moabeat

Früher hießen sie Moabit. Heute wohnen sie immer noch dort. Exakt hier enden dann aber auch schon die Provinzialitäten. Machen wir’s kurz: „Dringlichkeit besteht immer“, das erste Album von Moabeat, ist nach Sidos „Maske“ nicht nur schon die zweite überragend gute HipHop-Platte aus Berlin in diesem Jahr, sondern – zumindest was die Beats betrifft – gar auf dem internationalen Stand der Forschung.

Sido hat den bereits etablierten Ruf der Hauptstadt als Bundeszentrale für Kleinkriminellen-Rap und Porno-Lyrics bis auf Weiteres gefestigt, Moabeat dagegen reüssieren auf einem für Berlin bislang eher ungewohnten Terrain. Schon für ihre letzte EP „Bär auf Speed“, damals noch als Moabit, bestätigte ihnen die einschlägige Fachpresse einen „frischen Sound“ und kürte sie zum Hoffnungsträger der bundesweit darbenden Szene. Auf „Dringlichkeit besteht immer“ führen sie fort, was dort noch eher hoffnungsvoll angelegt war: Ebenso tanzbare wie verquere Beats, die sich einerseits nicht vor den gerade angesagten Synkopierungen scheuen, andererseits aber mit Fantasie und Verspieltheit eher an die frühen De La Soul oder die späten Kinderzimmer Productions erinnern. Auch textlich hat man dazugelernt, sich weitestgehend vom Battle-Rap verabschiedet und begonnen, nicht mehr nur die allzu drängenden menschlichen Bedürfnisse zu formulieren.

Vor allem aber kennen DJ Illvibe, der seine Brötchen eigentlich bei den Echo-Gewinnern Seeed verdient, und die Rapper Malo, Monk und Yasha keine Berührungsängste. Sie haben das gute alte Eierschaukeln nicht vergessen, aber sind halt auch in der Lage, verhältnismäßig differenziert über eine verlorene Liebe zu rappen. So wie sie einen ganzen Song über einen einzigen Drink schreiben können („Pur Auf Eis“), ironisieren sie nur wenig später in „Macker“ den Titelgegenstand, ohne sich gleich gänzlich von ihm zu distanzieren. Auf Gaststars konnte man folglich, ganz gegen die Gewohnheiten des Genres, großzügig verzichten. Wozu sollte man die brauchen, wenn man zwischen Vers-Stakkato und Wortspiel, zwischen Binnenreim und eingängiger Hookline alle verfügbaren Spielwiesen selber abgrasen kann.

So avanciert die Verbalarbeit aber auch sein mag, das Prunkstück des Albums sind zweifellos die fragil produzierten Tracks. Illvibe und Monk, die beiden Produzenten, benutzen zwar mitunter nicht immer die ausgefallensten Samples, ja, sie schrecken nicht einmal vor Grandmaster Flashs „The Message“ zurück, aber sie verwandeln noch die ausgelutschtesten Versatzstücke in unerhörte, bisweilen gar einzigartige Ergebnisse. Manches Stück atmet ganz entspannt im Takt des G-Funks, das nächste bollert geradeaus auf dem Weg zur Party, Nummer drei torkelt wie ein besoffener Timbaland – und jederzeit kann es passieren, dass der Song in einem Klang- oder Rhythmusexperiment verloren geht. Trotzdem, und das muss man erst mal so selbstverständlich hinkriegen, klingt „Dringlichkeit besteht immer“ niemals nach Kunststudentenversuch, aber immer wie aus einem Guss.

Diese Qualitäten haben hierzulande zumindest einen so guten Ruf, dass deutsche Plattenfirmen für die deutschen Singles ihrer internationalen Stars gern mal einen Remix ordern. So durften sich Moabeat an Songs von Sean Paul oder Lambchop versuchen und zuletzt gar an einem Stück der Branchenführer von N.E.R.D. Im Moabeat-Video zur aktuellen Single ist allerdings nicht Pharrell Williams zu sehen, und auch nicht die weite Welt, sondern nur eine Berliner Eckkneipe und die notorischen Puppetmastaz. Das Spektrum zwischen diesen Bezugspunkten mag ganz schön weit geraten sein, für Moabeat ist es gerade groß genug. THOMAS WINKLER

Moabeat: „Dringlichkeit besteht immer“ (New Noise Recordings/Labels)