Taub auf dem falschen Ohr

Gericht: Protestzug für die Rechte unabhängiger Musiker ist keine politische Demonstration. Der zeitgleich geplante Aufzug für den Erhalt der kommerziellen Loveparade erhält behördlichen Segen

VON TOBIAS VON HEYMANN

Der Streit um die Musikdemo am 10. Juli im Tiergarten wird immer grotesker – auch juristisch. Das Verwaltungsgericht verweigerte gestern dem Demo-Initiator Kay Neumann den Status als Demonstration. Die Veranstalter wollen nun gegen den Beschluss vor dem Oberverwaltungsgericht klagen und parallel auch noch eine neue Demo anmelden.

In seiner Begründung kommt das Gericht zu dem Schluss, der Protestzug für die Rechte vor allem unabhängiger Musiker gegenüber den Majors der Musikindustrie sei bei „Würdigung des Gesamtgepräges“ als „musikalische Unterhaltungsveranstaltung“ zu sehen. Und das, „selbst wenn einzelne der auftretenden Künstler ein ernsthaftes Anliegen haben mögen“. Denn es sei „mehr als zweifelhaft, dass dies auch das Anliegen des teilnehmenden Publikums ist“. Zudem stehe der MusicDay „objektiv in der Tradition der Loveparade“, weil Datum, Ablauf und Ort identisch seien. So hatte auch schon die Versammlungsbehörde argumentiert, als sie den Demo-Antrag der Independent-Künstler kürzlich ablehnte.

„Das alles stimmt nicht“, widerspricht Mitorganisator Michael Schmidt. „Denn unser politisches Anliegen ist eindeutig.“ Mittlerweile beteiligten sich neben Ver.di sogar die IG Metall und Kulturattac. „Außerdem misst das Gericht hier mit zweierlei Maß.“

Denn ebenfalls für den 10. Juli hat das Szenemagazin Partysan die Demo „Fight the Power“ für den Erhalt der – kommerziellen – Loveparade angemeldet. Auf der Homepage findet sich auch ein Link zur Loveparade, die seit 2001 keine politische Versammlung mehr ist. Fünf Techno-Trucks sollen über den Ku’damm rollen. Die Versammlungsbehörde geht von 5.000 Teilnehmern aus. „Uns liegt die Anmeldung vor und wir haben keine Einwände dagegen“, erklärte ein Sprecher der Behörde. „Wir werden uns jetzt mit den Veranstaltern wegen des genauen Ablaufs zusammensetzen.“ Warum die eine Musikdemo genehmigt ist und die andere nicht, wollte er nicht beantworten.

„Wenn der Gerichtsbeschluss gültig bleibt, könnte das auch der Todesstoß für den Christopher Street Day sein“, sagt Schmidt. Denn die Absagekriterien träfen auch auf die Organisationsstruktur des CSD zu, der am kommenden Samstag, dem 26. Juni, geplant ist. Das reicht von der Zahl der Redebeiträge bis zum Catering an der Strecke.

Besonders pikant: Der vorgesehene Demo-Leiter – eine Art technischer Ansprechpartner – wollte zunächst sowohl den „MusicDay“ als auch den CSD übernehmen. Doch nach einem Telefongespräch mit der Versammlugsbehörde sah er sich zum Rückzug beim „MusicDay“ gezwungen. „Ihm wurde nicht gerade durch die Blume gesagt, dass er sonst mit erheblichen Schwierigkeiten bei der ‚anderen Veranstaltung‘ rechnen müsse“, bleibt Kay Neumann diplomatisch. Im Klartext: Der Demo-Status des CSD könne sonst möglicherweise doch noch in Frage gestellt oder angemeldete Wagen einer besonders gründlichen polizeilichen Prüfung unterzogen werden.

Trotz der juristischen Querelen arbeitet Kay Neumann weiter am Programm: „Die Mobilisierung läuft bundesweit, alle unabhängigen Musikschaffenden und deren Freunde sind aufgerufen, am 10. Juli am Großen Stern im Tiergarten zu demonstrieren.“ Bis dahin sammelt er für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch mehr Argumente und Beweise für den politischen Charakter seines „MusicDay“. Ein handfestes Politikum ist die Affäre um die Genemigungspraxis für Demos in Berlin schon jetzt.