Sprachmusik jenseits der Sprache

Die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker widmen in diesem Jahrdem Komponisten Matthias Pintscher einen Schwerpunkt

Die Musik von Matthias Pintscher fasziniert zumeist durch ihre von Eruptionen durchbrochene Leichtigkeit

von REINALD HANKE

Jedes Jahr widmet das renommierte Kammermusikfestival in Hitzacker einem Komponisten einen Schwerpunkt. Dieses Jahr ist es Matthias Pintscher. Doch neben ihm werden noch weitere Höhepunkte vorgestellt: Das vorzügliche ungarische Keller-Quartett gastiert als Ensemble in Residence und auch der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann ist in Hitzacker präsent.

Das ganze, vom 26. Juli bis 3. August dauernde Festival steht unter dem Motto „Von Traumstädten und Phantasiewelten“. Die Metropolen Venedig, Budapest und Paris werden in musikalischen Porträts vorgestellt. Der großen Musikstadt Venedig sind gleich am Eröffnungstag zwei Konzerte gewidmet. Das Eröffnungskonzert wird bestritten vom Norddeutschen Figuralchor, dem Neuen Ensemble Hannover und diversen Solisten. Auf dem Programm steht venezianische Musik vom frühen Barock eines Giovanni Gabrieli oder Claudio Monteverdi bis zu Luigi Nono. Am Abend spielen das Keller-Quartett und der ungarische Pianist Dénes Várjon. Kompositionen des 20. Jahrhunderts stehen ebenso auf dem Programm wie romantische Klavierstücke von Richard Wagner und Franz Liszt, die einen direkten Bezug zu Venedig aufweisen. Am Sonntag gilt das morgendliche Städteporträt dann Budapest mit Werken von Joseph Haydn, Johannes Brahms, Ernö Dohnányi und Béla Bartók. Am Abend folgt dann Paris. Das berühmte Hilliard-Ensemble singt frühe Vokalmusik der französischen Gotik.

Besondere Aufmerksamkeit wird Matthias Pintscher auf sich ziehen, dem zwei Abende und ein Nachmittag gewidmet sein werden. In den beiden Konzerten am Mittwoch und Donnerstag stehen seine Werke im Kontext zu Stücken, die für das musikalische Verständnis des Komponisten aufschlussreich sein dürften. Neben Pintschers Kompositionen gibt es am ersten Abend Klaviersonaten von Domenico Scarlatti und instrumentale Bearbeitungen von Chorstücken Carlo Gesualdos. Und im zweiten Konzert ergänzen dann Werke von Luciano Berio, Anton Webern und Hans Werner Henze das Programm. Zuvor bietet die Hörer-Akademie ein einführendes Werkstatt-Gespräch mit Matthias Pintscher an.

Der Komponist ist eine der interessantesten Erscheinungen in der Musikszene. Ihm ist es auf eine fast einzigartige Weise gelungen, im Alter von kaum 25 Jahren so viel Aufmerksamkeit auf sich und seine Musik zu ziehen, dass er schon jetzt, gerade 32 Jahre alt geworden, auf Auftragswerke für die namhaftesten Ensembles verweisen kann. Die Berliner Philharmoniker spielen seine Werke genauso wie das Cleveland Orchestra. Auch auf CD sind bereits einige seiner Stücke erschienen.

Noch aufregender aber ist es, die Musik dieses jungen Komponisten live zu hören. Sie fasziniert zumeist durch ihre von Eruptionen durchbrochene Leichtigkeit. Dabei wirkt Pintschers Schreibweise immer hoch konzentriert. Kein Ton scheint zu viel zu sein. Nichts wirkt so, als wäre es auf den Effekt hin angelegt, obgleich die Musik sehr effektvoll ist. Getragen wird seine Musik oft von einem untrüglichen Gespür für natürliche, wie von innen heraus gesteuerte Klangentfaltung und langem Atem. Ihre Wurzel hat sie, im Vokalen ebenso wie im Instrumentalen, in singenden Bewegungen.

Da kann es nicht verwundern, dass er selbst in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine musikalische Gemeinsamkeiten mit Giuseppe Verdi behauptet und seine Musik gelegentlich als Sprachmusik jenseits der Sprache bezeichnet wird. Dass eine solche gesangsgeprägte Musik ihre Inspirationsquellen in der Literatur hat, ist nahe liegend, dass sie sich aber auch an der Bildhauerei eines Alberto Giacometti oder Joseph Beuys entzünden kann, wird in Hitzacker zu erleben sein.

Konzerte mit Matthias Pintscher: 30.7. und 31.7., 19.30 Uhr, Konzertsaal Hitzacker, Workshop: 31.7. ,14 Uhr, Jagdschloss Göhrde. Das komplette Programm: www.musiktage-hitzacker.de