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Der Renitente wird erwachsen

Der für seine gesellschaftskritischen Interventionen berühmte Ausstellungsmacher Florian Waldvogel ist Chef einer Institution – des Hamburger Kunstvereins – geworden. Und überlegt, wie er sich da politisch treu bleiben kann

VON PETRA SCHELLEN

Nein, Geduld ist nicht seine Stärke. Das sagt Florian Waldvogel ganz direkt, wenn man ihn da aufsucht, wo er seit Januar im Chefsessel sitzt: im Hamburger Kunstverein, gelegen auf der „Kunstmeile“ zwischen Kunsthalle und Deichtorhallen. Ein dreiseitig verglastes Haus, aus Kostengründen seit Jahren hinter riesigen Werbeplakaten versteckt. Um 1900 ist das Gebäude noch eine Markthalle gewesen. Architekten gestalteten sie später für den Kunstverein um, der 1993 dort einzog.

Allerdings ist der Eingang schwer zu finden. Man muss, den Bahnhofsberg hinabkommend, wissen, dass hinter der Ecke noch ein Gebäude kommt. Dieses also soll das Nest für den umtriebigen Florian Waldvogel werden – für wie lange, kann er noch nicht sagen. Sein Vertrag weist zwar fünf Jahre aus. Aber sesshaft werden? Da legt sich Waldvogel, der es bislang „nirgends länger als fünf Jahre aushielt“, lieber nicht fest: „Es könnten zehn oder 20 Jahre sein.“

Das hat Gründe, denn er ist kein unbeschriebenes Blatt: Als eigenwilliger politischer, dezidiert linksgerichteter Ausstellungsmacher ist er bislang durch Europa gezogen, hat die Essener Kokerei Zollverein geleitet und war von 2006 bis 2008 am Rotterdamer Witte de With-Center for Contemporary Art. Wie ein Institutions- oder gar Vereins-Chef wirkt er nicht. Bislang stand er stets auf anderen Seite: Hat seinerseits Institutionen, Gesellschaft und ihre Städte konterkariert, provoziert, aufgemischt.

In Frankfurt hat er 2004 während des Projekts „Nizza Transfer“ temporäre Hausbesetzungen inszeniert. In Nürnberg ließ er 2006 den gotischen „Schönen Brunnen“ mit einer aus Stadionsitzen gefertigten Skulptur Olaf Metzels umhüllen – unter Polizeischutz und zum großen Entsetzen der Einheimischen. Waldvogel hat die Künstlerin Silke Wagner animiert, einen Kleinbus mit der Aufschrift „Lufthansa Deportation Class“ zu schaffen – die Aktion löste eine breite Diskussion über die Nutzung von Lufthansa-Flugzeugen für Abschiebungen aus.

Doch solche Aktionen geschahen immer punktuell. Wie eine Gazelle war Waldvogel jeweils bald wieder weg. War nirgends zuhause und konnte sich klare Töne leisten. Oder er war – wie zuletzt in Rotterdam – für einzelne Ausstellungen verantwortlich, nie aber fürs Ganze.

Das ist in Hamburg anders: Jetzt ist Waldvogel verantwortlich für ein Haus mit über 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Zudem ist es einem Verein angedockt, der aus teils mehr, teils weniger mäßig progressiven Kunstkennern besteht. Aber dieser Verein hat Waldvogel auserkoren, das Haus anders zu beleben als sein Vorgänger Yilmaz Dziewiór, der eher für die Reflexion gesellschaftlicher und künstlerischer Befindlichkeiten stand und weniger für innerstädtische Interventionen.

Die Botschaft ist also klar: Waldvogel soll es anders machen; vielleicht hat der Verein den Hamburgern auch bewusst einen vorgesetzt, der unverhohlen politisch ist – auf dass angesichts von Gentrifizierung und anderer Imbalancen ein bisschen Sturm aufkomme.

Was das betrifft, braucht man sich keine Sorgen zu machen, auch wenn sich Waldvogel zunächst verhalten gibt: „Ich bin jetzt 39 und könnte natürlich weiterhin gegen Wände rennen. Ich würde jetzt aber viel stärker scheitern, weil der ,Feind‘ nicht mehr klar ist. Bislang waren das oft Institutionen. Jetzt bin ich selbst die Institution.“

Sind die wilden Jahre also vorbei, ist auch Waldvogel, der immer wieder für seine politischen Aktionen angefeindet, oft auch verklagt wurde, in den Institutionen angekommen, hat seine Ambitionen aufgegeben? Er zögert. „Also, vorbei ist grundsätzlich erstmal gar nichts. Meine politischen Ideen haben sich nicht verändert. Aber ich werde künftig eine offenere, ästhetischere Sprache für gesellschaftspolitische Problematiken suchen.“

Heißt: Im Prinzip bleibt es beim Intervenieren. Mit Kostas Velonis‘ eigens für den Kunstverein geschaffenen Installationen zum Beispiel, die von März bis Dezember gezeigt werden. Zu ihm wird sich im Juli die Schottin Karla Black gesellen – „zwei Künstler, die sich in ihrem Verständnis von Raum und in ihren Materialien sehr ähnlich sind“, sagt Waldvogel. Im Untergeschoss derweil: Tatiana Trouvé mit winzigen Eingriffen in den Raum.

Der Raum – das ist für Waldvogel letztlich: die Stadt, in der er agiert und in die er hineinwirken will. „Allerdings nicht mehr so dezidiert politisch, wie man es von mir gewohnt ist. Ich möchte mit unserem Programm die unterschiedlichsten Personengruppen erreichen.“

Er, der Renitente, gewandelt zum konturlosen Philantropen? „Erstmal möchte ich hier ein Grundvertrauen in meine Arbeit stiften und nicht gleich auf eine bestimmte inhaltliche Richtung festgelegt werden“, sagt er. Er wolle „die Erwartungen, die andere und auch ich selbst an mich haben, unterlaufen“. Denn letztlich laufe ja jeder Kurator Gefahr, „sich irgendwann nur noch selbst zu kopieren“. Das will Waldvogel definitiv nicht. „Schließlich mache ich den Job nicht nur für andere, sondern auch für mich. Er muss auch für mich interessant bleiben, und ich will etwas dabei lernen.“

„Grundvertrauen stiften“, das ist keine leichte Aufgabe für einen, der bislang eher durch künstlerische Kompromisslosigkeit als durch watteweiche Diplomatie aufgefallen ist. Er wolle „zunächst positive Zeichen setzen, das Haus stärker öffnen“, sagt Waldvogel. Zu diesem Zwecke wird der große goldene Buddha von Daniel Milohnic in den Eingangsbereich des Kunstvereins gebaut. Der soll mindestens bis Ende 2009 dort bleiben. „Das ist ein eindeutig positives Zeichen“, sagt Waldvogel. Aber – ist er denn Buddhist? „Nö“, grinst er. Aber dies sei ja auch ein Kunstwerk und kein Glaubenszeugnis. „Außerdem, wie Slavoj Zizek so schön sagte: Ein bisschen glauben schadet nicht.“

Bewegung – die schätzt er überhaupt, und die braucht in seinen Augen auch die Kunst. Deshalb kann sich Waldvogel vorstellen, temporär auch andere Hamburger Gebäude zu bespielen – als Satelliten des Kunstvereins sozusagen. Er denkt dabei an Orte, die nicht am Rand der Stadt sind, sondern mitten drin – im Schanzenviertel zum Beispiel. Was da besser ist? „Liegt doch auf der Hand: Es ist urbaner“, sagt Waldvogel und schaut sinnend auf den draußen tosenden Verkehr. Eine Sekunde lang entgeht ihm die Ironie der Situation. Dann, schnell: „Wir haben hier keine Laufkundschaft. Kein kulturell geprägtes, gewachsenes Viertel. Das ist in anderen Stadtteilen anders. Da erreichen wir die Menschen direkter und sind im Zentrum dessen, auf das wir uns beziehen.“

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