Beleidigte Diven

Italiens Fußballer sehen sich als Opfer eines Komplotts und übersehen,dass sie an ihrem frühen EM-Aus schon ganz alleine Schuld tragen

AUS GUIMARÃES RAPHAEL HONIGSTEIN

Für die von Verschwörungstheorien um den Verstand gebrachten, ultrazynischen Männer in Blau Mitleid zu verspüren, war am späten Dienstagabend nicht einfach. Aber nur wer ein besonders kaltes Herz in seiner Brust hatte, konnte von dem Dramolett in der Nachspielzeit unberührt bleiben. Antonio Cassano, der Torschütze zum 2:1-Siegtreffer, flog da mit ausgebreiteten Armen schreiend durch den Regen auf die italienische Bank zu, um beim Anblick der Gesichter der Mannschaftskameraden fürchterlich abzustürzen. Er kam vor Schmerzen nicht mehr hoch; wie von der mächtigen Hand des Schicksals zu Boden gedrückt, kniete der 21-Jährige die letzten Sekunden des Spiels an der Seitenlinie. Seine Kraft reichte gerade noch aus, mit dem Vollspann eine Wasserflasche zu enthaupten. Ein paar Minuten später, als das Unglück besiegelt war, trottete er unter Schock in den Pressesaal – der Pokal für den „Spieler des Spiels“ musste entgegengenommen werden. Nur mühsam unterdrückte der als Hitzkopf berüchtigte Junge aus Bari die Tränen, einen Moment lang dachte man, er würde dem Uefa-Delegierten das metallene Gelump über den Schädel hauen. Doch Cassano verdrückte sich nur wieder wortlos in die Kabine. Gut, dass ihm niemand gesagt hat, dass der Sponsor der Auszeichnung, eine Biermarke, aus Dänemark stammt.

Italien gegen Bulgarien, das war ein sehr ansehnliches Spiel mit vielen interessanten Szenen, einem umstrittenen Elfmeter, einem späten Siegtreffer und einem verdienten Gewinner gewesen. Doch Sekunden nach dem Abpfiff wollte niemand mehr darüber reden. Die Dänen und Schweden hatten in Porto 2:2 gespielt – und damit jenes Resultat erzielt, das alle italienischen Hoffnungen sterben ließ. Selbst 20 weitere Treffer hätten nicht zum Einzug ins Viertelfinale gereicht. Auf dem Feld hatte die Squadra zum Abschluss eines durchwachsenen Turniers noch einmal Eleganz und Elan verbinden können und sich einigermaßen ehrenvoll aus Portugal verabschiedet, doch auf dem Weg zum Mannschaftsbus machten sie den guten Eindruck schon wieder kaputt. Bis auf den noch vom Vortag eingeschnappten Christian Vieri und den untröstlichen Cassano blieben sie gerne stehen – und jeder hatte einen bösen Kommentar zum angeblichen Komplott der Skandinavier parat. „Jemand sollte sich schämen“, sagte Gianluigi Buffon mit einem giftigen Lächeln im Gesicht, „aber nicht wir. Ich bin sehr verbittert, ich hätte nicht geglaubt, dass das passieren könnte. Wer da noch über Fairplay redet, sollte seine Augen öffnen.“ Stefano Fiore sprach von „einem sehr seltenen Resultat“, Massimo Oddo wiederum hatte „einen schlechten Geschmack im Mund“. Auch für Alessandro Nesta stand die Ungerechtigkeit des Ausgangs völlig außer Frage: „Es ist bitter, wenn man Dritter hinter zwei Teams wird, die schlechter sind. Es tut weh, unbesiegt nach Hause fahren zu müssen.“ Und Verbandspräsident Franco Carraro, der schon im Vorfeld mit seinen peinlichen Unterstellungen für Irritationen gesorgt hatte, ließ sich zu der Aussage hinreißen, die Art, wie das Spiel in Porto gelaufen sei, hätte gezeigt, dass Dänen und Schweden auf das Remis aus gewesen seien. „Leider finden sich dafür nur sehr schwierig Beweise“, meinte der 65-Jährige. Vielleicht hat ja eine der 25 speziell von der Rai platzierten Kameras den geheimen Handschlag der Kapitäne aus Skandinavien eingefangen.

Das 2:2 in Porto wird ähnlich wie die dubiosen Pfiffe von Schiedsrichter Byron Moreno gegen Südkorea bei der WM vor zwei Jahren den Blick auf das Wesentliche verstellen: zum wiederholten Male haben die Männer aus der Serie A ihr enormes Potenzial auch nicht annähernd umsetzen können. Giovanni Trapattonis Angst vor der eigenen Courage im Spiel gegen Schweden und die blutlose Vorstellung gegen Dänemark waren 2004 entscheidend für das Scheitern, darüber hinaus sprach der enttäuschte Mister schwammig von „Problemen des italienischen Fußballs“, die es intern zu lösen gelte. Auf Traps Expertise wird der Verband dabei verzichten. „Ich kenne meine Zukunft nicht“, sagte der 65-Jährige, alle anderen wussten da längst Bescheid – sein im nächsten Monat auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. Wahrscheinlich wird Marcello Lippi das Amt übernehmen.