Der Zappel-Felipão

Portugals Coach Scolari ist stets um gute Stimmung bemüht. Damit soll heute auch England besiegt werden

LISSABON taz ■ „Hu … Hu!“ Ganz nahe rückte er ans Mikrofon, um den Schläfer aufzuschrecken. Gleich nachdem sich Luiz Felipe Scolari gesetzt hatte, war ihm der Mann aufgefallen, der im Sessel döste. Also pustete der Brasilianer zweimal kräftig durch die Tonanlage des Saals. Als der Journalist die Augen öffnete, begrüßte ihn der Trainer mit einer aufmunternden Geste. Dann begann er die Pressekonferenz nach dem Sieg gegen die Spanier, der seine portugiesische Auswahl ins Viertelfinale gebracht hatte, in dem sie am heutigen Donnerstag (20.45 Uhr) auf England trifft.

Jede Frage-und-Antwort-Stunde mit „Felipão“, wie die Landsleute den 55-Jährigen nennen, ist volle Aufmerksamkeit wert, immer zieht er eine Show ab. Still sitzen geht nicht, Zappel-Felipe kratzt sich ständig irgendwo oder verzieht das Gesicht zu Grimassen. Die Aussagen sind oft doppeldeutig, sexuelle Anspielungen mag er am liebsten. Ein Engländer, der vor dem letzten Gruppenspiel die schlechte Bilanz gegen die Spanier herauskramte, bekam die Antwort: „Es gibt immer ein erstes Mal. Das gab es bei dir doch auch, oder?“

Pingelige mögen seine Späße derb finden, aber wenigstens hat er Humor. Scolari weiß noch, dass Fußball im Grunde nur der Unterhaltung dient. Und die portugiesischen Journalisten sind dankbar für die vielen Zitate, vorgestern bedankten sie sich mit einem handsignierten Trikot. Dass er vor dem Spanienspiel mit unbefugt veröffentlichten Sätzen übers Ziel schoss („Das ist Krieg, und im Krieg muss ich töten“), sollte man verzeihen. Er kennt die Sensibilitäten in Europa noch nicht so. Wer schon mal in Brasilien beim Fußball war, weiß, dass es dort grober zugeht. Scolari wies darauf hin, dass bei ihm zu Hause schon das Spielsystem, bei dem einer weiterkommt und der andere ausscheidet, „mata-mata“ (töte-töte) heißt.

In diesem Modus gilt er in der Heimat als schier unbezwingbar, Turniere liegen ihm mehr als der Ligabetrieb. Nach einer bescheidenen Spielerkarriere gelang der Durchbruch als Trainer, indem er den Provinzklub EC Criciúma zum Sieg im brasilianischen Pokal führte. Später glückte mit Gremio und Palmeiras der Triumph in der Copa Libertadores. Neben dem legendären Tele Santana ist er der einzige brasilianische Coach, der die südamerikanische Version der Champions League zweimal gewann.

Scolari versteht es, seine Spieler für die wichtigen Momente einzustellen, wenn nötig packt er sogar selbst mit an. Einmal warf er einen Ball auf den Rasen, um einen gegnerischen Konter zu stoppen. Der Schiedsrichter musste pfeifen, lief dann Richtung Auswechselbank. Dort hatte sich Scolari bereits umgedreht, um einen Unschuldigen zu schimpfen: So etwas könne man doch nicht tun!

Fragt man Portugals Nationalstürmer Nuno Gomes, was der Boss der Mannschaft bringe, so muss er nicht lange überlegen: „Motivation und Freude“, sagt er. Weil ihm die Akteure zu traurig erschienen, ließ Scolari extra die Psychologin einfliegen, die ihm schon bei der WM 2002 half, als er die brasilianische Auswahl zum Finaltriumph geleitete. „Mir gefällt es, wenn meine Spieler glücklich sind und Witze machen“, sagt er. Außerdem unterstützt der praktizierende Katholik, dass sie ihren Glauben zum Ausdruck bringen, damit er ihnen Kraft gibt.

Aber Scolari ist weit mehr als ein Motivator und Gute-Laune-Onkel, ganz davon abgesehen, dass er auch übel schimpfen kann, wenn einer aus der Reihe tanzt. Er studiert fleißig Videos, und schon bei der WM in Asien konnte man beobachten, wie Scolari seine Profis schon mal eine halbe Stunde lang wie Schachfiguren über den Trainingsplatz schob, um ihnen die richtigen Positionen einzubläuen. Später gab es zur Auflockerung Spielchen, in denen die Akteure fremde Rollen bekleideten.

Scolari, der mit seiner Frau und den zwei Söhnen im Lissaboner Vorort Cascais wohnt, versucht, in seinen Teams ein Familiengefühl herzustellen. Auch deshalb sind zwei Landsleute im Trainerstab, darunter sein Neffe. Bei der Spielerauswahl ist ihm der Charakter genauso wichtig wie die fußballerische Qualität. Zur WM fuhr er ohne den schwierigen Stürmerstar Romario, bei den Portugiesen zog er dem Stuttgarter Fernando Meira einen anderen vor, der menschlich besser passte. Und Scolari ist unbeirrbar in seinen Entscheidungen, auf Torwart-Idol Vitor Baia verzichtete er trotz öffentlichen Drucks. Aber er kann auch diplomatisch handeln. Das zeigen die jüngsten Einwechslungen der Veteranen Rui Costa und Fernando Couto. Der Coach vertraut ja neuerdings der jungen Generation. Etwas spät, kritisieren einige. Er kontert, er habe die Spieler erst bei einem gemeinsamen Aufenthalt kennen lernen können. Das sei wie mit einer Freundin. Erst, wenn man mal neben ihr aufgewacht sei und in ihr verschlafenes Morgengesicht geblickt habe, könne man entscheiden, ob man sie wirklich heiraten wolle. RALF ITZEL