Ein Organ, bereit für jeden Exzess

Die Stimme, oh, diese Stimme! Begleitet von „The New Animals“ rockt Eric Burdon im Aladin satt ab – ohne dabei die Würde seines Alters zu verlieren

Die schwüle Luft riecht nach Exzess – nach Zigarettenrauch und ausgeschwitztem Alkohol. Erschöpft, aber glücklich schiebt sich eine begeisterte Menge zum Ausgang des Aladin. Soeben hat Eric Burdon mit seiner Band, den „New Animals“, die Bühne verlassen. Von der aus hatte er das Publikum für etwas mehr als eine Stunde in die graue Vorzeit der Rockmusik zurückversetzt. Die 25 Euro Eintritt haben sich gelohnt.

Ein Besucher jedoch gibt sich enttäuscht: „Die Stimme ist immer noch geil“, schnarrt der 50-jährige Schiffsmakler. „Die macht das Besondere aus.“ Deshalb sei es insgesamt trotz allem noch ein hervorragendes Konzert gewesen. „Aber vor drei Jahren war der noch tausendmal geiler als heute.“ Und, ganz klar, natürlich sei Burdon mittlerweile nicht mehr so fit wie damals. Ja damals, schwärmt der Kenner, in den seligen Siebzigern, als er ihn das erste Mal hatte live erleben dürfen. Ihn, und diese Stimme.

Burdons Stimme: Ein unglaublich variables, facettenreiches Organ. Von tiefen, kehlig-gepressten dirty tones an der Grenze zum Röcheln bis hin zur Kopfstimme und hohen, ekstatischen Schreien beherrscht sie fast alle Spielarten des Bluesgesangs. Und wurde sofort zum Markenzeichen der Animals, nach Burdons Einstieg 1962. Ohne ihn und seine wilde Bühnenshow wären sie die wenig spektakuläre Alan Price Band aus Newcastle (England) geblieben. Hätten weiterhin soliden Rhythm’n’Blues gespielt und nie von ihren Fans den Spitznamen „Animals“ bekommen. Mit Burdon als Frontmann aber besetzten sie eine Schlüsselfunktion in der Evolution des Rock. Sie beeinflussten sogar noch Bands wie Smashing Pumpkins und Saint Vitus.

Das Animalische in Burdons Live-Darbietung äußert sich inzwischen subtiler. Die ersten Songs singt der 62-Jährige, ganz in schlichtes Schwarz gekleidet, auf einem Barhocker sitzend. Keine großen Gesten, keine wilde Mimik. Nur seine Augen funkeln angriffslustig durch die getönte Brille – „Voodoo Man“: Burdon gibt seiner Stimme ein rauchiges, grabesschweres Timbre. Man ahnt, dass dies hier mehr als nur ein betulicher Nostalgieabend werden wird.

Kaum dröhnen jedoch die ersten Takte von „When I Was Young“ mit extremer Lautstärke durch die Boxen, springt Burdon vom Barhocker auf. Das Publikum anfeuernd, zieht er nun alle Register seines Könnens und das Resümee: „I was such a rotten little bastard!“ Burdon wird immer wilder, trägt plötzlich sogar ein Rocker-Stirnband. Jetzt passen auch die etwas pubertären Totenköpfe auf seinem Hemdskragen besser ins Bild.

Jeder Embryo durchläuft vor der Geburt die Stadien der Entwicklung seiner Art: von primitiven Tieren bis zum Homo Sapiens. Eric Burdon durchläuft an diesem Abend dasselbe Programm – in umgekehrter Richtung. Und schafft es dennoch, dabei nicht die Würde des Alters zu verlieren.

till stoppenhagen