Im Zeichen des Kopffüßlers

Ein seit Urzeiten Existierendes bildet das Signet des Hamburger Verlages, der allen konjunkturellen Widrigkeiten zum Trotz in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert. Die Rede ist von der in Hamburg-Bergedorf ansässigen Edition Nautilus. Vielfache Assoziationen stellen sich ein: die Beweglichkeit jenes Kopffüßlers, unter dessen äußerer Schale sich wertvollstes Perlmutt verbirgt. Ab- und Auftauchen als (Über-) Lebensstrategie. Jeder halbwegs gebildete Leser aber denkt auch an Jules Vernes Roman Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer. An das vom Land unabhängige U-Boot „Nautilus“ des faszinierenden wie trotzigen Kapitän Nemo, der mit den Regeln der Gesellschaft gebrochen hat. Unabhängig- wie Beweglichkeit auch hier, gepaart mit Phantasie und Utopie.

Keine schlechten Begriffe, um das ambitionierte Programm des Verlages zu charakterisieren, der sich dezidiert nicht als „Kleinverlag“ versteht und verstanden wissen will, sondern eben als „unabhängiger Verlag – mit libertärer Tendenz“.

Läßt sich in den Frühjahrs- und Herbstvorschauen anderer Hamburger Verlage schon auf Anhieb erkennen, welches Museum, welche Institution mit Druckkostenzuschuss und Garantieabnahme das Buch auf den Weg gebracht hat, zeichnet sich das Programm der „Edition Nautilus“ durch herausfordernde Vielfalt aus. Im Spätsommer sollen die Erinnerungen der im zaristischen Russland geborenen Jüdin Vera Broido erscheinen. Die im April 2004 in England verstorbene Broido war Muse und Aktmodell des Malers und Fotografen Raoul Hausmann. Ebenfalls für August 2004 angekündigt: die Biographie von Alexandra Ramm-Pfemfert, der Trotzki-Übersetzerin und Lebensgefährtin des expressionstischen Dichters Franz Pfemfert. Interessant auch die Neuveröffentlichung Mit Höllentempo. Die Krise der israelischen Gesellschaft, ein Israel-kritischer Beitrag des in Israel lebenden, in der dortigen Friedensbewegung aktiven Autors Michael Warschawski.

Wie überhaupt die Reihe der „Biographien gegen die Zeit“ durch ihre erfrischende Unaus- gewogenheit besticht: Neben der Biographie Che Guevaras oder des spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti finden sich Bücher von und zu Jazzgrößen wie Billie Holiday und dem Bassisten Charles Mingus.

Und dann gibt es noch ganz andere Auffälligkeiten wie das Buch Hardcore von Herzen des ehemaligen Pornostars Annie Sprinkle oder die Vagina-Monologe von Eve Ensler. So ein Bestseller, gepaart mit einem Longseller wie Dinner for one (als illustriertes Buch oder als CD, „op platt“ ebenso wie „off säggsch“), macht andere Projekte möglich. So schulterte der Verlag eine 14 Bände umfassende Ausgabe der Werke des expressionistischen Dichters und Anarchisten Franz Jung, der zu den von den Nazis verbrannten und heute beinahe vergessenen Schriftstellern zählt.

Dieses Jahr wurde der Verlag auf der Leipziger Buchmesse besonders gewürdigt. Die Edition Nautilus bekam für „besondere verlegerische Leistungen“ den renommierten „Kurt-Wolff-Preis“. Getreu dem Motto des politisch engagierten Verlages kann man der Edition Nautilus sowie ihren Gründern Hanna Mittelstädt und Lutz Schulenburg nur fortwährende Beweglichkeit im Büchermeer wünschen! Wilfried Weinke

Große Nautilus-Revue: Sonntag, 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45, Hamburg; Eintritt 12,50/10 Euro (Kartentelefon: 28 05 54 67)