Die Japan-Connection

In Tokio auch als Ganzkörperwerbung: Die „Punkles“ kommen aus Hamburg-St. Pauli, stylen sich wie ein rockiger Gemischtwarenladen und klingen meistens wie ein defekter Plattenspieler

von Markus Flohr

Wenn Liverpool oder Memphis die Geburtstätten sind, dann ist St. Pauli der Vatikan des Rock‘n‘Roll. Denn hier war es, in einer bunt beleuchteten Stichstrasse der Reeperbahn, in einem komischen kleinen Club, im Jahre 1960. Da standen sie auf der Bühne, die Beatles, zum ersten Mal und danach öfter. Man kann heute wieder hingehen, in den Club, er heißt Indra, und Fotos an der Wand angucken. Draußen hängt ein Schild, drinnen sitzt meistens jemand, der dazu eine Geschichte erzählt. Der Starclub, die Große Freiheit 36, der ganze andere Kram, kam erst später, so gegen 1962.

„Ich kenne keinen Menschen, der nicht wenigstens einen Song der Beatles gut findet“, behauptet heute, 42 Jahre Jahre nach Indra und Starclub, ein rüstiger Rocker mit schulterlangem Haar. Er heißt Andreas Schmidt, singt und spielt Gitarre bei den Punkles. Er trägt ein gepflegtes Jeans-Outfit, Cowboystiefel, spricht Hamburger Akzent. Um die Finger ein paar Ringe, er lacht gerne. „Sogar während der größten Punk-Euphorie, als andere solche Platten verkaufen, verstecken oder wegschmeißen mussten, habe ich die Beatles gemocht.“ Sagt er.

Man möchte ihm glauben, denn er und seine Kumpels machen nichts anderes, als Punk und Beat zusammenzududeln. Sie spielen „Hey Jude“, „Help“ oder “All you need is love“ meist doppelt so schnell wie normal. Das klingt, als wäre der Plattenspieler auf die falsche Geschwindigkeit eingestellt. Manchmal übersetzen sie die Texte auf deutsch. Angst davor, dass ihnen mal die Cover-Vorbilder ausgehen, hat er nicht: „Es gibt so viele Beatles-Songs, da können wir noch ein paar Jahrzehnte hinterher spielen, und haben doch nicht alle verpunkt.“

Alles ist Konzept: Die Musiker haben Namen, die vorne nach Punk und hinten nach „Beatles“ klingen. „Sid McCartney“ spielt Bass, „Captain O‘Harrison“ Gitarre, „Markey Starkey“ Schlagzeug, Andreas gibt den „Joey Lennon“, und singt. Das aktuelle Album heißt Pistol und sieht aus wie das Revolver-Cover der Beatles. Man trägt Anzug und Krawatte, durchlöchert aber alles mit Sicherheitsnadeln und Buttons. Auf die Köpfe gehören – selbstverständlich – Toupets, die aussehen wie schwarze Feudel. Alles wirkt ein wenig albern. Ist das eine Parodie?

„Nein“, sagt „Joey“ A. Schmidt entschieden. „Wir verarschen die Beatles nicht. Wir machen uns nicht über sie lustig. Wir machen das mit sehr großem Respekt, beim Gesang breche ich mir regelmäßig ganz schön einen ab.“ Den größten Erfolg mit ihrem Abbrechen haben sie dabei übrigens nicht in Hamburg oder in Liverpool, sondern in Tokio. Und dem Land, das um diese Stadt herum liegt. In Japan trällern die Punkles im Flugzeug über die Inlands-Airline-Programme, ihre Platten sind in den Charts unter den Top 50, und es gibt viel Fanpost, von der sie leider kein Wort verstehen. Verrückte Welt, Herr Schmidt, oder?

So recht hat er keine Lust, die Story von den total durchgeknallten Nippon-Kids aufzusagen. Von kreischenden Halbwüchsigen, die sich bei Punkles- Nummern vom Stress ihrer Tamagotchi-Großfamilie erholen. Die „Sie liebt dich, ja ja ja“ für einen Beatles-Originaltext halten und der festen Überzeugung sind, dass Mr. Lennon schon immer „Joey“, sowie Sir McCartney seit jeher „Sid“ mit Vornamen heißen. Mr. Schmidt rückt sich dabei etwas verloren seine Bisonkopf-Gürtelschnalle zurecht.

Ja, ja, sie hätten da wohl größeren Erfolg als hier, und sicher, es sei schon lustig ein Foto zu sehen, auf dem man selbst aus Pappe und in voller Lebensgröße drauf ist. Und eine Tour durch Japan, das wäre mal was. Auch die Tonträger mit der eigenen Musik und diesen fremden Schriftzeichen drauf hin und her zu drehen, und wieder nichts zu verstehen, das sei wohl lustig. Aber das „Big in Japan“-, Popstar-, Rauschzustände-Ding bügelt er trocken ab: „Den Traum, von der Musik zu leben, habe ich schon als recht junger Mensch zu den Akten gelegt. Da reicht nicht mal eine Platte, die ganz gut läuft oder ein Charteinstieg in Japan. Ich habe mich schon geärgert, als ich feststellen musste, dass Musiker ein Beruf ist, indem man sich auf feste Einkünfte niemals verlassen kann. Aber wenn man mich mit fünf oder sechs Jahren gefragt hätte, was ich mal werden möchte, hätte ich gesagt: Beatle.“

Soll man ihm das nun glauben, für einen auswendig gelernten Werbetext halten oder der Meinung sein, dass er gerade aus seinem Poesiealbum zitiert? Ist eigentlich auch egal, und hängt vielleicht nicht unwesentlich davon ab, ob man St. Pauli für den wichtigsten Stadtteil der Pop-Welt hält. Und an was man sonst so glaubt.

Joey-Andi Lennon-Schmidt ist heute jedenfalls hauptberuflich Betreiber des wundervollen Molotow-Clubs an der Reeperbahn, das ist fünf Minuten vom Indra und so entfernt. Und demnächst ist er vielleicht auf Japan-Tour, bei den Nippon-Kids.