Blauer Himmel ohne Geigen

Und dafür müssen Bäume sterben: Buchcover sind oft so schlecht wie der Inhalt

Anfang der Sechzigerjahre hat sich Walther Killy in der schmalen Studie Deutscher Kitsch des ewig währenden Unwesens der literarischen Schmalz- und Schmand- und Schundproduktion angenommen und die ab ovo heruntergekommenen Stilmittel einer mal aufgemaschelten Romantik, mal hochdummen Sentimentalschleimerei, mal kreuzquastigen Dämonisierung vorgeführt, die ganze Staffage aus Archaik, plumper Tröstung, „dürftigem Tiefsinn“, Gartenlaubenidylle und Frömmigkeit, die nach dem Gesetz der kumulierten Effekte und lyrisierenden Übertünchung der Welt zusammengefrickelt wird.

„Der Kitsch kennt keine Grenzen“, wusste Killy. Die „Impotenz des Autors“, stellte er klar, sei die Voraussetzung dafür, das blamable Geschäft der Verkleisterung der Wirklichkeit ins Werk zu richten, und weil von hundert Lesern siebenundneunzig ohnehin nicht mehr zu retten sind, geht das bis heute heillos so weiter. Literarischer Kitsch verkauft sich – wie die so genannte volkstümliche Musik – wie nicht gescheit. Den profitablen Teil des Buchmarkts begutachtet man mitsamt entsprechend grauenhafter Umschläge in der Bahnhofsbuchhandlung.

Längst haben aber auch renommierte Verlagshäuser den verlockenden Braten gerochen und wetteifern nunmehr darum, die grauslichsten Titel ins Programm zu hieven, hervorgebracht und -gewürgt von so genannten Autorinnen und Autoren, deren Leitbild die grand old Donnertrulla der Literatur abgeben dürfte, Barbara „Dornen der Liebe“ Cartland. Wenn diese neuen deutschen Nobelkitschiers auch nicht unbedingt in der optischen Realpräsentation jener ins rosa Narrenkleidchen gestopften, truthahnsteil aufgepuderten und zwischen güldenen Kerzenständern und rotrosa Blumensträußen aufgebockten Trantante nacheifern und sich darob fürs Pressefoto womöglich noch mit einem puscheligen Pekinesentier oder einer affenscharfen Alaskagans auf dem Arm schmücken – die Cover, die sie sich von den alerten Marketingschwachmaten der rühmlichen Bildungsinstitute liebend gern aufschwatzen lassen, sind ja im Grunde ohnehin weit infernalischer und Aussage genug.

Es tut also nicht im mindesten Not, nur eine einzige Zeile aus der Palette des neuen altdeutschen Kitschgewerbes zur Kenntnis zu nehmen. Es langt, in den Verlagskatalogen zu blättern und gar wunderbar allüberall, ob bei Rowohlt oder S. Fischer oder Schnurzdiwurbs, auf denselben Brei zu stoßen, auf die kolonnenweise ausgebreiteten historischen Romane, die total bizarren Krimis, die extrem erschütternden VIP-Biografien und die vor Genialität triefenden Gefühlsschinken diverser Macharten.

Von Covergestaltung versteht man mittlerweile was. Typografische Titel nach der berühmten Vorlage des großen Willy Fleckhaus, der das Erscheinungsbild der edition suhrkamp entwarf, sind selbstredend außerordentlich uncool und scheißöde – sobald man beispielsweise bei Krüger, einem Subunternehmen des Fischer Verlags, ein Buch verantwortet und sogar an irgendwelche Käufer bringen will, das eine Cecelia Ahern geschrieben haben soll und „P. S. Ich liebe dich“ heißt. Da braucht es bei Gott eine feinsinnig handgeschwungene Schrifttype, einen ach so blauen Himmel ohne Geigen und ein paar putzige Wolkentupfer – fertig ist die grafische Katastrophe.

In dieselbe Lauge greift das Mutterhaus Fischer zu Gunsten des als Roman gehandelten Werks „Himmelsfeuer“ von Barbara Wood, deren Name immerhin einen Tick glaubwürdiger ist als der einer hoheitlichen Dame des Reinbeker Ramschladens Rowohlt, die Ildikó von Kürthy gerufen werden möchte und mit ihrer Liebesromanze „Freizeichen“ gewiss die eklatante Nachfolge der Hedwig Courths-Mahler antritt. Zu solchem Behufe liegt ein schlafender Mann im Bett auf ihrem Buche, während der Woods bloß abermals ein indes geschickt orange kolorierter Himmel samt Wolkengetürm zuteil wird. Als Kontrast offeriert Fischer einen historischen Roman namens „Mondschatten“, dessen Deckel eine germanische Fürstentochter ziert, die wallenden Haars und zwirbelnden Sinnes im nachtblauen Traumreich auf weiß der Regenpfeifer was schaut.

Sie haben, der Augenschein beweist’s, tatsächlich samt und sonders einen Schatten – ob der einst respektable Europa Verlag, der nahezu ausschließlich verschnörkelte und verschnarchte Titel feilbietet und sich für Beryl Bainbridges „Nachtlicht“ drei grazile Blumenstengel auf weißem Fond ausgedacht hat, oder die Leipziger Dependance des Reclam Verlags, der der Welt, seinem abendländischen Bildungsauftrag folgend, nun endlich den Roman „Der Junge, der die Bäume liebte“ überreicht.

Wer die Bäume liebt, denkt hier rasch an einen Satz von Hermann L. Gremliza: „Und dafür mussten Bäume sterben.“

JÜRGEN ROTH