Unser Weltbezirkstheater

DAS SCHLAGLOCH    von KLAUS KREIMEIER

Warum reist ein Außenminister in die USA, nur um seinen Kollegen Powell zu umarmen?

Im Fußball werden wir uns von niemandem die Butter vom Brot nehmen lassen. Herbert Hainer, Adidas-Chef,im Spiegel-Gespräch

Die politischen Großbühnen dieser Welt unterliegen gegenwärtig einem klassischen Unterscheidungsmuster: Bahnen sich auf der einen Tragödien an, so werden auf der anderen Burlesken gegeben. Derzeit ist das angelsächsisch-amerikanische Welttheater für das Schicksalhafte und Düstere zuständig, das alte Europa hingegen für das komische Genre. Ist es nicht atemberaubend, wie rasant die Irakkriegs-Feldherren von ihren eigenen Lügen eingeholt werden und am Rande des Orkus taumeln – Blair kreidebleich und ausgezehrt, Bush noch im Prunk seiner imperialen Fassadenherrlichkeit, doch mit nervös-finsterer Verkniffenheit im Blick? Nun gut: Von altgriechischer Größe mag dies alles weit entfernt sein. Aber die Dimensionen der Bühne, die Fallhöhe, die sich hier abzeichnet, und die Wucht, die einst glänzende Throne wanken lässt, sind atemberaubend.

Wie erbärmlich nehmen sich dagegen die folkloristischen Sommerspiele in Mitteleuropa aus. Klar – im internationalen Maßstab steht es um Deutschland schlecht: wirtschaftlich, in der Bildung, kulturell, wissenschaftlich. Unsere Ausstattung reicht gerade für das Bezirkstheater. Das wäre nicht weiter der Rede wert, würde bei uns nicht gleichzeitig alles nach „Internationalisierung“, also nach der großen Bühne, schreien. Wir richten – ein Beispiel aus dem Leben eines geplagten Hochschullehrers – Bachelor-Studiengänge ein, von denen wir noch gar nicht wissen, ob sie bei uns funktionieren und im Ausland anerkannt werden. Wir modeln unser Deutsch zu einem halbgebildeten Pidgin-Angelsächsisch um und verderben dabei die eigene Sprache, ohne uns in der fremden verständlich ausdrücken zu können – ganz anders als die selbstbewussten Franzosen, die immerhin ihre Sprache und ihre Kultur gegen allzu dreiste atlantische Zumutungen verteidigen.

Zwischen so viel Mimikry und dem allgemeinen Verfall im Land muss ein Zusammenhang bestehen. Wir wähnen uns auf dem Weg in die Globalisierung – und empören uns, wenn uns ein italienischer Choleriker trotzdem als „nationalistische Blonde“ beschimpft. Ausgerechnet unser Kanzler nimmt diesen typischen Gag aus der Commedia dell’Arte besonders übel und ändert mit dramatischer Geste seine Urlaubsplanung – dunkel ahnend, dass Politik in Deutschland sich ohnehin in einem permanenten Sommerloch bewegt und allenfalls als Pausenfüller fürs Showgewerbe taugt. Auch die Selbstmorde der jüngsten Zeit gehören in diese negative Bilanz. Wer spricht noch von Möllemann? Die letzten Bilder aus dem Leben David Kellys hingegen werden lange haften bleiben: Hier grummelt in den Tiefen ein Szenario, das Shakespeare ersonnen haben könnte und dem ehedem so strahlenden Prinzen in der Downing Street noch den Hals brechen könnte.

Gewiss: Mit dem tragischen Repertoire haben wir keine guten Erfahrungen gemacht. Die deutsche Tugend, eine Sache um ihrer selbst willen zu verfechten – egal, ob sie falsch oder richtig ist –, hat genug Unheil in der Welt angerichtet. Aber die Alternative können nicht Halbherzigkeit, politische Flickschusterei und die Angst vor der eigenen Courage sein. Warum läuft Schröder, nur weil ihn Bush nicht mehr empfängt, wie ein geprügelter Hund mit verrenktem Unterkiefer herum, der sich fragt, was er mit seinen Zähnen machen soll, wenn er doch nicht zubeißen kann? Warum reist sein Außenminister in die USA, nur um seinen Kollegen Powell zu umarmen und zu versichern, nun gelte es, wieder in die Zukunft zu schauen – während Powell und sein Dienstherr gerade heftig von ihrer bösen Vergangenheit eingeholt werden? So kommt nicht nur unsere Außenpolitik, sondern auch – logische Folge – unser Ansehen im Ausland buchstäblich auf den Hund. Prompt reagieren wir zerknirscht, weil wir wieder einmal feststellen müssen, dass wir in der weiten Welt, von fragwürdigen Ausnahmen abgesehen, nicht gerade geliebt werden.

Zurzeit kommt es mal wieder knüppeldick: Gleich von mehreren Seiten schlägt den Deutschen offene Abneigung entgegen – um nicht zu sagen: blanker Hass. Auf den ersten Blick sind es dubiose Figuren, die sich auf der Weltbühne als Deutschlandfeinde zu profilieren suchen: ein schießwütiger Texaner, der sich auf eine höchst problematische Weise ins Weiße Haus gemogelt hat, und ein glitschiger Halunke, der Politiker geworden ist, um der gerechten Strafe für seine Gaunereien zu entgehen. Charaktere, die genau genommen nicht auf die Bühne, sondern ins Filmstudio gehören. Es scheint nur konsequent, dass sich zu ihren sonstigen Übeltaten auch noch ihre Geiferei gegen die Deutschen gesellt.

Aber vielleicht täuscht der erste Blick. Vor kurzem kam eine alarmierende Nachricht aus Schweden, das bisher eigentlich nur für sanfte Sozialpolitik, hohe Steuern und gähnende Langeweile zuständig war. Die Vorsitzende der schwedischen Zentrumspartei, Maud Olofsson, hat ihre EU-Skepsis mit ungeschminktem Abscheu gegenüber dem in Deutschland mit Abstand populärsten Politiker begründet und unseren Außenminister als „Terroristen“ bezeichnet, als hätte Fischer keine anderen Schwachstellen außer seiner Vergangenheit. Gewiss: Frau Olofsson hat sich, fast im gleichen Atemzug, entschuldigt. Aber was von Entschuldigungen heutzutage zu halten ist, wissen wir ja spätestens seit Berlusconi und seinem Tourismuswicht Stefano Stefani.

Vielleicht kommt die Abneigung gegen uns von unserer zum Sommerloch-Theaterverkommenen Politik

Quälender Gedanke: Vielleicht ist die Abneigung gegen uns weiter verbreitet, als wir ahnen, und vielleicht hat sie etwas mit unserer zum Sommerlochtheater verkommenen Politik zu tun. Die Deutschen waren einige Jahrzehnte lang, zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet, Klassenprimus – man hat uns nicht gerade geliebt, aber immerhin geachtet. Nun aber zeigt sich, dass unsere Regierung die sozialen und ökonomischen Fragen genauso wenig in den Griff bekommt wie die Regierungen unserer Nachbarn. Die Gründe, uns zu achten, sind hinfällig geworden. Da die anderen ebenso unproduktiv vor sich hin werkeln, tobt sich die allgemeine schlechte Laune nun am ehemaligen Primus aus.

Wie ist dem beizukommen? Weder mit beleidigtem Pathos noch mit Liebedienerei. Jener deutsche Europaabgeordnete Schulz – der nichts dafür kann, dass sein Name von aller Welt als Markenbezeichnung gelesen wird – hat sich gleich beides geleistet: dramatische Aufwallung, als er die gesamte italienische Regierung des Rassismus zieh, und devote Kriecherei, als er sich ein paar Tage später für seine Tirade entschuldigte. Zur Prestigeeinbuße, die wir als ökonomische Macher und solide Handwerker zu beklagen haben, gesellt sich nun der fragwürdige Ruf, dass wir zwar urplötzlich politischen Streit vom Zaun brechen können, aber nicht in der Lage sind, ihn mit einiger Konsequenz auszutragen. Diese Haltlosigkeit, diese sehr zeitgemäße, aber im Kern marode Unernsthaftigkeit unserer Politik und unserer Politiker kann dahin führen, dass wir unseren Ruf in der Welt vollends verspielen und noch die halb verhungerten Straßenköter in Rio in heiseres Lachen ausbrechen, wenn zufällig ein Deutscher vorbeikommt.