Schweigende Staatsfeinde geben Rätsel auf

Drei Wochen nach ihrer Freilassung haben Algeriens Islamistenführer Belhadj und Madani immer noch nichts gesagt

ALGIER taz ■ Ob oben in der kleinen Straße im Stadtteil Kouba, in der Ali Benhadj wohnt, oder unten im zentraleren Stadtteil Belcourt, wo Abbassi Madani sein Domizil hat, die Bilder gleichen sich. Um die Häuser der beiden prominentesten Islamisten Algeriens in der Hauptstadt Algier drücken sich auffällig unauffällige Typen herum. Passanten winken ab und gehen hastig weiter, wenn man sie auf ihre berühmten Nachbarn anspricht. Jeder hier weiß, was Algeriens Staatsmacht wünscht: Die beiden am 2. Juli aus der Haft entlassenen historischen Führer der verbotenen „Islamischen Heilsfront“ (FIS) sollen öffentlich totgeschwiegen werden.

Auch sie selbst halten sich daran. „Nichts tun, was als Provokation ausgelegt werden könnte“, heißt die Parole. Benhadj wurde nach seiner Entlassung von gerade mal 20 Freunden zu Hause empfangen. Anfang der 90er-Jahre war er durch seine feurigen Predigten, in denen er die Errichtung eines Gottesstaates versprach, bekannt geworden – heute gibt der Imam keine öffentliche Erklärung ab, wenn er in die Moschee geht. Madani und Benhadj haben die Auflage, weder mit der Presse zu reden noch politisch aktiv zu werden.

Auch die offizielle Stimme der FIS, Abdelkader Boukhakham, der in den ganzen Jahren des Parteiverbotes immer wieder die Presse empfing, schweigt. „Keine Zeit“, lehnt er höflich die Anfrage für ein Interview ab. Sein letzter öffentlicher Auftritt beschränkt sich auf ein Kommuniqué, unterschrieben von fünf FIS-Größen, darunter der in Deutschland lebende langjährige Auslandssprecher Rabah Kebir, das wenige Tage nach der Freilassung der beiden Führer veröffentlicht wurde. Madani und Benhadj werden darin aufgefordert, „einige ihrer legitimen Rechte für das allgemeine Interesse zu opfern“. Durch Ruhe und Wohlverhalten soll gezeigt werden, dass der Entzug der Bürgerechte der beiden und das andauernde Verbot der FIS durch nichts zu rechtfertigen ist. „Wir fordern die nationale und internationale Öffentlichkeit auf, diese Entscheidung zu hinterfragen“, heißt es in der Erklärung.

Alles deutet darauf hin, dass Madani und Benhadj gegen den Entzug ihrer Bürgerrechte vor Gericht ziehen werden. Sollte dies nicht helfen, wäre der nächste Schritt eine internationale Kampagne. Benhadj betet derweil jeden Tag in einer anderen Moschee. Neulich machte er gar auf einem der Märkte Algiers einen Gemüsestand auf. Er verkauft so gut wie kein anderer.

Die Zurückhaltung der FIS gibt Spekulationen breiten Raum. Es heißt, die Islamistenchefs würden sich mit ihrem Wohlverhalten die Wiederzulassung ihrer Partei vor den Wahlen im nächsten Jahr erkaufen. Staatschef Abdelasis Bouteflika fürchtet um seine Wiederwahl, denn Ali Benflis, sein ehemaliger Regierungschef und Vorsitzender der einstigen Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), möchte gegen ihn antreten. Damit ist der übermächtige Militärapparat, der von jeher im Hintergrund die Fäden der algerischen Politik zieht, gespalten.

Dass es diese Spaltung gibt, zeigte sich auch im Umgang mit der Freilassung der beiden FIS-Führer. Die Regierung stellte Einreisegenehmigungen für ausländische Fernsehteams aus, um das Ereignis zu filmen – als sie da waren, wurden sie im Auftrag des Militärgeheimdienstes am Verlassen ihres Hotels gehindert und abgeschoben.

Die unübersichtliche Situation im Machtapparat könnte auch den beiden Islamistenführern selbst gefährlich werden. Als vor vier Jahren Abdelkader Hachani, die einstige Nummer drei der FIS, aus der Haft entlassen wurde, fiel er im November 1999 einem Attentat in der Praxis seines Zahnarztes zum Opfer.

REINER WANDLER