Stendal darf weiterzahlen

Das Urteil fiel anders aus als erwartet: Kommunen müssen sich Beihilfen für Busse und Bahnen nicht von Brüssel genehmigen lassen

von CHRISTIAN RATH

Das Luxemburger Urteil ist ein Warnschuss, doch die ganz große Umwälzung blieb vorerst aus. Gestern forderte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mehr Effizienz und Transparenz im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Allerdings müssen staatliche Finanzspritzen für Busse und Straßenbahnen auch in Zukunft nicht von der EU-Kommission genehmigt werden. Zu der teilweise befürchteten „Pleitewelle im Nahverkehr“ wird es also vorerst nicht kommen.

Konkret ging es um die Vergabe von Buskonzessionen im Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt). Schon seit 1994 streiten zwei Gesellschaften um das Recht, Personen durch den Landkreis zu kutschieren. Die zu kurz gekommene Gesellschaft trieb den Rechtsstreit jetzt bis zum EuGH in Luxemburg.

Dort ging es nur um die Frage, ob staatliche Zuschüsse für den Nahverkehr als Beihilfen zu bewerten und deshalb von der Kommission zu genehmigen sind. Phillip Leger, einer der unabhängigen Generalanwälte am EuGH, hatte dies in seinem Gutachten im Vorjahr so gesehen und damit in Deutschland für helle Aufregung gesorgt. Diese Aufregung war zwar übertrieben, denn auch die strenge Kommission hätte vermutlich die meisten Staatszahlungen abgesegnet. Aber der EuGH lehnte nun die Ansicht Legers eindeutig ab.

Staatliche „Ausgleichszahlungen“ für den Nahverkehr sind demnach keine Beihilfen, wenn folgende vier Kriterien eingehalten sind. 1. Der Verkehrsunternehmer muss gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im öffentlichen Interesse erbringen. 2. Die Kriterien, nach denen die Höhe der Ausgleichzahlungen berechnet wird, müssten „zuvor objektiv und transparent“ aufgestellt werden 3. Der Unternehmer darf nicht überkompensiert werden, also nicht mehr erhalten, als er braucht, um die öffentlichen Anforderungen zu erfüllen. 4. Als Maßstab gilt die Kostenstruktur eines „durchschnittlichen Verkehrsunternehmens“.

Was diese Kriterien konkret bedeuten, hat der Europäische Gerichtshof gestern offen gelassen. Dies müssen jetzt deutsche Gerichte entscheiden, mit dem Stendal-Streit wird sich nun wieder das Bundesverwaltungsgericht befassen. Eine politisch äußerst heikle Aufgabe.

Der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) glaubt, dass die deutsche ÖPNV-Finanzierung schon heute den EuGH-Kritierien genügt. „In der Praxis gibt es keine finanzielle Begünstigung ohne kundenbezogene Gegenleistung“, betont VDV-Sprecher Friedhelm Bihn. ÖPNV-Insider glauben aber, dass vor allem die Kriterien Nr. 2 und 4 für Probleme sorgen werden. „Das Verfahren ist in Deutschland fast nirgendwo transparent“, sagt ein spezialisierter Anwalt, der nicht genannt werden will, „da muss überall etwas passieren.“ Wichtig sei auch, dass bei der Kostenberechnung künftig Marktkosten zugrunde gelegt werden müssten. „Ineffizienz wird nicht mehr belohnt, jahrzehntelang aufgebaute Besitzstände müssen abgebaut werden“, so die Einschätzung des Anwalts.

Eine allgemeine Ausschreibung von ÖPNV-Dienstleistungen hat der EuGH allerdings nicht gefordert. Vermutlich werden deshalb auch weiterhin die meisten Strecken ohne echten Wettbewerb vergeben. Dies kommt vor allem den bisherigen (meist kommunalen) Betreibern zugute, wobei auch sie künftig die vier Kriterien einhalten müssen. Wo dies nicht der Fall ist, können Konkurrenten vor Gericht ziehen und auch die Kommission in Brüssel kann von sich aus einen Fall aufgreifen und prüfen.

Die vier Kriterien gelten vermutlich auch weit über den ÖPNV hinaus, nämlich immer dann, wenn der Staat Geld vergibt, damit eine öffentliche Leistung mit einem bestimmten Niveau erbracht wird, also etwa auch in der Energieerzeugung, bei der Wasserversorgung oder der Filmförderung.