Musik kann eine Transe sein

Alternativ, antikommerziell, amüsant und auch politisch: Ein Spaziergang über den Transgenialen CSD am Samstagnachmittag in Kreuzberg. Wowereit beschimpfen, tanzen und sich in die Augen schauen

Der erste Anblick beim Auftauchen aus dem U-Bahn-Schacht am Kottbusser Tor: ein „Suck my dick“-Shirt, getragen von einer kahl geschorenen Lesbe mit Bierdose in der Hand. Die Stahlkappen ihrer Stiefel hat sie mit Aufklebern verziert. Auf dem einen steht „aktiv“, „passiv“ auf dem anderen. Mit keinem der beiden Treter möchte man es näher zu tun bekommen.

Der Transgeniale CSD rollt über die Kottbusser Brücke, der erste Wagen ist mit einem rosa Banner geschmückt: Che Guevara mit Make-up. Durch die Boxen trällern Army of Lovers „Shalom alechem“, Frauen mit Schnurrbärten und „Nie wieder CSD!“-Plakaten tanzen dazu. Ein Rucksackaufkleber fordert „Kein Stöckel breit den Nazis!“. Von Sponsorenbannern keine Spur. Deswegen nennt sich der Transgeniale CSD „unkommerziell“. Die Döner-Läden haben dafür extra die Dosenbierpreise erhöht.

Die türkische Familie im dritten Stock bestaunt das Spektakel auf dem Heinrichplatz. Auf der Bühne beschimpft ein älterer Herr gerade Klaus Wowereit als asozial, er fordert das Sozialticket zurück, plädiert für „massenhaftes Schwarzfahren“. Viele scheinen ihr „Recht auf Mobilität“ bereits beim Wort genommen und eben noch kurz an der Siegessäule vorbeigeschaut zu haben – bei dem anderen, dem „bösen“, dem „kommerziellen“ CSD. Applaus für die emphatische Anti-Wowi-Tirade lässt sich nun nicht nur klatschen, sondern auch trillern – mit den Pfeifen, die an der Siegessäule von einer Sex-Dating-Website verschenkt wurden.

Viele haben sich auch die gelben Aufkleber, die bereits auf den Stahlkappen der Kampflesbe prangten, aufgepappt an eine jeweils passende Stelle. Ist das schon Körperpolitik? Bei näherem Hinsehen outen sich die Aufkleber als schlechter Scherz der FDP: „aktiv, für Schwule und Lesben“, „passiv, aber nicht in der Politik“. Politik hin oder her – wichtiger scheint es beim Transgenialen CSD zu sein, dass die Party übersichtlich genug ist, um dem anzüglichen Grinsen, das im Getümmel so schnell wieder vorbei war, noch ein zweites Mal über den Weg zu laufen.

Auf der Bühne singt nun Coco Lores mit ihrer Klampfe „Angie“ von den Stones nach, mit neuem Text: „Angela, du ziehst mit Bush in jeden Kri-hi-hi-hieg.“ Danach folgt eine DJane, die sich das Motto „trans“ zu Herzen nimmt: erst OutKast, die Rapper, die auch gerne mal Frauenkleider anziehen, danach ein Mash-up-Bootleg: Destinys Child über Nirvana, oben Lady, unten Kerl. Auch Musik kann eine Transe sein.

Die bunte Masse hüpft dazu ausgelassen, die blaue Stunde bricht schon an. Die Türken im dritten Stock haben ihr Fenster wieder geschlossen, sie schauen jetzt wohl lieber Fußball. Genauso wie die Männer im Café um die Ecke. Kein Stöckeltrippeln kann sie noch vom grünen Flimmern ablenken. Hinten wartet eine dicke Frau. Doch, sie mag die vielen Trans-was-auch-Immers gern, zumindest heute. Sie versperrt den Weg und hält die Hand auf. Dosenbier wieder loswerden? Hier? Schätzchen, das kostet. JAN KEDVES