„Gewalt ist nur eine Inszenierung“

Die Berliner HipHop-Szene ist besser als ihr Ruf, meint dagegen Oliver Trenkamp. Die Auseinandersetzungen zwischen den Rappern und Labels sind Teil einer Streitkultur und gehören zum guten Ton. Rechte haben keinen Einfluss

Es hat schon etwas von Streitereien im Kindergarten, wenn Rapper verbal übereinander herfallen: „Halt’s Maul“ und „Der hat doch keine Eier“ sind dann die zivilisiertesten Sätze, die geäußert werden. Das Beleidigen und Herziehen über andere Interpreten, das „Dissen“, gehört in der Berliner HipHop-Szene zum guten Ton, Streits und heftige Auseinandersetzungen, genannt „Beefs“, werden öffentlich zelebriert.

In Berlin gibt es drei tonangebende Labels: Aggro Berlin, Optik Records und RoyalBunker. Bekannt ist vor allem Optik Records unter der Führung des Kreuzberger Rappers Kool Savas. Der hatte mit legendären Gassenhauern wie „LMS – Lutsch meinen Schwanz“ das Genre geprägt und mit seinem Album „Der beste Tag meines Lebens“ bundesweit Erfolg. Aktuell sorgt Aggro Berlin mit dem Protagonisten Sido für Aufsehen. Seine Stücke heißen „Arschficksong“ oder „Mein Block“. Letzterer ist eine Ode an Sidos Heimat im Märkischen Viertel. RoyalBunker veröffentlichte bisher größtenteils Mixtapes von wenig prominenten Rappern, bringt nun aber ein viel beachtetes deutsch-türkisches Album von Azra und Eko Fresh heraus.

Zelebrierte Konflikte in der Berliner Szene spielen sich meist im Dreieck dieser Labels ab. Vertreter von Aggro Berlin warfen Kool Savas vor, er gebe nur vor, „voll hart“ zu sein und hätte für den kommerziellen Erfolg seine Texte entschärft. Umgekehrt heißt es in der Szene, Optik Records halte musikalisch nichts vom Konkurrenten. Aggro-Star Sido wiederum beginnt einen seiner Songs mit der Ansage: „Staiger, halt’s Maul“ – Staiger ist der Chef von RoyalBunker.

Das sorgt für Aufsehen und Medienpräsenz. Beim genaueren Hinschauen wirkt vieles inszeniert oder zumindest für die Berichterstattung zugespitzt. Torsten Landsberg schreibt unter anderem für Deutschlands erstes HipHop-Magazin MK ZWO und kennt viele der Berliner Rapper persönlich: „Journalisten, denen HipHop nicht wichtig ist, reduzieren die Szene häufig auf diese Auseinandersetzungen.“ Meist stecke aber nichts Ernstes dahinter. „Gemeinsame Auftritte und Projekte belegen den gegenseitigen Respekt“, so Landsberg.

Gespielter Streit ist schon immer ein Teil der HipHop-Kultur. Bei „Battle-Raps“ treten zwei Interpreten gegeneinander an und ziehen möglichst kunstvoll und spontan übereinander her. Das Publikum entscheidet, wer besser ist. Fantasievolle Beleidigungen gehören zum verbalen Kräftemessen. Die Tradition wird bei Open-Mic-Sessions vom Nachwuchs gepflegt. Jeder kann ans Mikrofon kommen und drauflosrappen.

Der Radiomoderator Nico Bielefeld vom Sender Jam FM sagt: „Die Berliner Styles sind die härtesten.“ Er moderiert wöchentlich eine Radiosendung, die sich ausschließlich deutschem HipHop widmet und ist damit eine Institution in der Szene. „Berlin ist die größte deutsche Stadt, hier gibt’s auch die größten sozialen Unterschiede“, erklärt er die herben Texte der lokalen Interpreten. Doch die Rivalitäten der einzelnen Protagonisten sieht er ebenfalls übertrieben dargestellt. „Beef-Berichte sind in der Regel nicht seriös recherchiert“, sagt Bielefeld.

„Kleinkriminellenrap“ nennt Sido seinen Stil ironisch in Abgrenzung zu US-amerikanischem Gangstergehabe. Viele Berliner Rapper kommen wie er aus einem harten sozialen Umfeld, manche haben eine kriminelle Vergangenheit. Angeblich produzieren einige ihre Alben während des Freigangs aus dem Gefängnis. Verallgemeinern lässt sich das nicht. Kinder aus bürgerlichem Haus gehören ebenso dazu wie Sozialhilfeempfänger. Vielen gemeinsam ist die konsumierte Droge: Haschisch und Marihuana. Kiffen ist der große gemeinsame Nenner.

Politik ist für den Berliner HipHop selten ein Thema, unpolitisch ist er nicht. „Die Szene lebt von der Integration“, so Bielefeld. Die Texte seien nicht unbedingt politisch, die Identität sei aber „klar gegen rechts“.

OLIVER TRENKAMP